Der digitale Einzelanwalt – Interview mit RA Volker Himmen

von Nico Kuhlmann

Die digitale Transformation betrifft die gesamte Rechtsbranche. Nicht nur große Wirtschaftskanzleien oder spezialisierte Boutiquen müssen sich auf die Digitalisierung einstellen, sondern auch Einzelanwälte in der Stadt und auf dem Land.

Volker Himmen arbeitet seit 13 Jahren als Einzelanwalt im schönen Sasbach am Kaiserstuhl und ist zudem Dozent für Zivilrecht an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach. Darüber hinaus ist er Mitglied des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Kanzleimanagement im Deutschen Anwaltverein (DAV), Vorsitzender des Arbeitskreises Kanzleimanagement im Freiburger Anwaltverein und Mitglied der ersten Stunde bei der European Legal Tech Association (ELTA).

Nico Kuhlmann: Lieber Volker, was hat sich in der Zeit seit Deiner Anwaltszulassung im Jahr 2003 bereits an Deiner Arbeit verändert?

Volker Himmen: Die Arbeit ist schneller geworden, was letztlich nur durch die Digitalisierung möglich war. Zeit ist für den Mandanten, neben der Qualität der Arbeit, ein immer wichtigerer Faktor. Demgegenüber hat der regionale Bezug an Bedeutung verloren.

Nico Kuhlmann: Wie sieht Dein beruflicher Alltag aus? Spielt die Digitalisierung bereits eine größere Rolle in Deiner Kanzlei?

Volker Himmen: Ja, ich habe im November 2015 die Kanzlei auf papierlose Aktenführung umgestellt. Das bedeutet, dass neue Verfahren ausschließlich als eAkte geführt werden. Der Posteingang wird vollständig eingescannt und dann elektronisch erfasst. Die Kanzleisoftware arbeitet auf SaaS-Basis, so dass ich lediglich noch Laptops mit Clients einsetze. Der Zugriff auf den Server erfolgt über VPN, der Server selbst ist ausgelagert und wird als Remote Infrastructure Management gehostet. Das ermöglicht es mir, jederzeit und überall uneingeschränkt arbeiten zu können.

Die Mandanten erhalten Zugriff auf die Akte als WebAkte, das erspart die Übersendung von Dokumenten. Die Übermittlung der Inhalte erfolgt sowohl auf Mandanten-, wie auch auf Kanzleiseite per SSL-Verschlüsselung. Auch hier liegen die Daten verschlüsselt in einem Rechenzentrum in Deutschland.

Wenn der Mandant die Übersendung von Dokumenten per E-Mail wünscht, erfolgt dies nur durch den Upload von Dokumenten über eine AES-256-Verschlüsselung in eine Cloud, für die der Mandant dann getrennt voneinander einen Link und eine PIN erhält.

Nico Kuhlmann: Viele Anwälte kommunizieren noch mit unverschlüsselten E-Mails. Du bietest auf Deiner Homepage sogar eine verschlüsselte Videoberatung an. Wie häufig fragen Mandanten diese Kommunikationsform nach?

Volker Himmen: Die Möglichkeit der Videokommunikation wird noch sehr selten nachgefragt. Mir geht es hier aber darum die Möglichkeiten anzubieten und dem Mandanten zu zeigen, dass Sicherheit nicht notwendigerweise einen Verlust an Bequemlichkeit darstellt.

Nico Kuhlmann: Was sind Deine Gedanken in Bezug auf das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA)? Was sagen die Probleme rund um die Einführung Deiner Meinung nach über die deutsche Anwaltschaft aus?

Volker Himmen: Ich selbst bin seit ca. Anfang 2017 „beA-ready“ und nutze dies auch konsequent in der Korrespondenz mit den Gerichten, soweit diese bereits als beA-Empfänger gelistet sind. Mit dem LG Freiburg klappt das beispielsweise gut.

Natürlich gab und gibt es Probleme hinsichtlich der technischen Umsetzung von beA. Diese müssen behoben werden. Auch die noch vorhandenen Zweifel an den Sicherheitsstandards, beispielsweise aufgrund der Verwendung eines Java-basierten Clients, müssen angegangen werden.

Sich hierüber zu mokieren und gleichzeitig weiter unverschlüsselte Mails zu versenden, ist meiner Ansicht nach aber geradezu paradox. Wenn also aus der berechtigten Kritik eine Verweigerungshaltung wird, dann ist das der falsche Weg. Auch hier finden wir in unserem Berufsstand wohl leider immer noch deutlich mehr Bedenkenträger und Skeptiker, als First-Mover oder zumindest Ambitious Follower.

Nico Kuhlmann: Wie wird das Thema Digitalisierung innerhalb des Anwaltsvereins diskutiert? Gibt es Berührungsängste oder herrscht eine Aufbruchsstimmung?

Volker Himmen: Es wird auf jeden Fall der Versuch unternommen, eine Aufbruchstimmung zu vermitteln. Berührungsängste sehe ich in Form einer Unbeholfenheit, vielleicht auch Verkrampftheit, mit dem Thema progressiv umzugehen. Der DAV könnte meiner Ansicht nach beispielsweise ganz aktiv als Bindeglied zwischen Anwaltschaft und IT/Legaltech-Startups fungieren. Ein solches Vorgehen wäre im Interesse der Mitglieder. Der Deutsche Anwaltstag 2017 war diesbezüglich sicherlich ein erster Versuch. Es muss aber weitergehen.

Nico Kuhlmann: Das anwaltliche Berufsrecht stammt größtenteils noch aus der analogen Welt. Siehst Du als Einzelanwalt konkreten Reformbedarf? Gibt es Regelungen, die Deiner Meinung nach auf den Prüfstand gehören?

Volker Himmen: Ich glaube nicht, dass es berufsrechtliche Regelungen gibt, die im Hinblick auf die Digitalisierung speziell für den Einzelanwalt reformbedürftig sind. Ganz konkret halte ich aber beispielsweise die Diskussion um § 43a BRAO (Grundpflichten) und eine entsprechende Änderung, wie sie nun endlich vom Rechtsausschuss zum Thema Outsourcing vorgeschlagen wurde, für wichtig. Diesbezüglich hat Micha Grupp (AnwBl 2017, 507ff. –  Non-Legal Outsourcing: Ein erster Schritt aus einem großen Dilemma) vollkommen zu Recht im darauf hingewiesen, dass eine moderne Kanzleiführung bis jetzt mit der Wahrung des Berufsgeheimnisses nahezu unvereinbar war. Von einer Änderung wird sicherlich der Einzelanwalt am ehesten profitieren, wenn beispielsweise Sekretariatsdienste ausgelagert werden können.

Nico Kuhlmann: Wie glaubst Du, wird Deine Arbeit in zehn Jahren aussehen? In welchen Bereichen wird sich die Arbeit eines Einzelanwalts am meisten verändern?

Volker Himmen: Den regional tätigen Einzelanwalt wird es in seiner heutigen Form in zehn Jahren vermutlich nicht mehr geben. Ein Punkt, der meiner Ansicht nach an Bedeutung gewinnen wird, ist die (überregionale) Kooperationsbereitschaft, die auch mit dem Willen einhergeht, sein Wissen weiterzugeben.

Die digitale Positionierung wird dazu führen, dass es dem Ratsuchenden gar nicht mehr bewusst ist, wo der Anwalt ansässig ist. Dieser Faktor wird zunehmend auch keine Rolle mehr spielen.

Für mich mit Mandanten überwiegend aus dem Bereich der kleinen und mittelständischen Unternehmen bedeutet dies, dass die Generation der Digital Natives die Leitung übernommen haben wird. Sie wird Rechtsdienstleistung nur noch digital einkaufen und erwarten, dass Rechtsdienstleistungen jederzeit zu transparenten und fixen Kosten verfügbar sind. Ich verstehe das als Chance, den Mandanten mitunter sogar aktiv dahin zu führen. Wenn ich dem Mandanten bei dem, was er benötigt und erwartet, gedanklich einen Schritt voraus bin, bin ich bei der Transformation nicht consumer driven, sondern kann diese Transformation im Gegenteil aktiv gestalten.

Nico Kuhlmann: In welchen Bereichen siehst Du das größte Potenzial für Einzelanwälte in Zukunft und was sollen diese Deiner Meinung nach tun, um das Potenzial zu verwirklichen?

Volker Himmen: Der Einzelanwalt wird seine Position am Markt sicherlich stärker behaupten müssen als größere Einheiten. Das wird ihm gelingen, wenn er seine immensen Vorteile, sehr flexibel agieren und sehr schnell auf den Markt reagieren zu können, strategisch richtig nutzt. Keine Hierarchieebenen oder langwierige interne Abstimmungs- und Legitimierungsprozesse durchlaufen zu müssen, prädestiniert den Einzelanwalt geradezu zum Digital Player. Das erfordert aber eine digitale Ausrichtung der Kanzlei sowohl intern als auch extern und eine Bindung des Mandanten auch in digitaler Hinsicht. Damit meine ich, dass der Anwalt dem Mandanten digitale Lösungen für seine Probleme anbieten kann, sei es eigene, sei es extern eingekaufte oder vermittelte.

Nico Kuhlmann: Was würdest Du einem jungen Kollegen raten, der sich als frisch zugelassener Anwalt auf dem Land selbstständig machen will? Worauf sollte er achten?

Volker Himmen: Gerade im ländlichen Bereich, aber auch in sog. Mittelzentren, ist eine gute Vernetzung sicherlich die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Berufsstart, verbunden mit einer zunächst regionalen medialen Präsenz. Im Zusammenhang mit schneller und konsequenter Spezialisierung muss man sein Angebot dann meiner Ansicht nach zügig überregional aufstellen. Das geht nur mit einer digitalen Ausrichtung und einer scharfen Abgrenzung im Markt. Der dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) innewohnende Gedanke der Mischkalkulation geht eben dann nicht auf, wenn ich nur das Sammelbecken für niedrige Streitwerte bin. Das mag arrogant klingen, funktioniert aber nicht anders.

Hinzu kommt es, den Markt sehr genau zu beobachten und Entwicklungen auch antizipieren zu können. Wer sich heute noch auf Fluggastrecht und die Überprüfung von Bußgeldbescheiden spezialisiert, wird damit vermutlich nur begrenzt erfolgreich sein.

Ein gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein, um unvermeidliche Tiefschläge verkraften zu können, Risikobereitschaft und Ausdauer sollte man mitbringen, aber das ist meiner Ansicht nach selbstverständlich. Last but not least den Mut zu scheitern.

Nico Kuhlmann: Lieber Volker, vielen Dank für das Interview und beste Grüße nach Sasbach am Kaiserstuhl.

Volker Himmen: Ich danke Dir für Dein Interesse und wünsche Dir und Micha Bues weiterhin viel Erfolg und Beachtung für Euren Blog.