Evolution benötigt Evolutionsdruck – Interview mit Fritz Mehler, Gründer von dasrecht.de

Fritz Mehler hat das Startup mit dem eingängigen Namen dasrecht.de gegründet. Er ist nicht nur Jurist und Programmierer, sondern hat auch eine klare Meinung und Vision zur Zukunft der Rechtsbranche. Deshalb war das Interview ein besonderes Vergnügen. Meine Hoffnung ist, dass sich viele (angehende) Juristen nach diesem Interview ein Herz fassen und konkret überlegen, wie sie die Rechtsanwendung weniger “kompliziert und mysteriös” machen können. dasrecht.de kann ein Orientierungspunkt für diejenigen sein, die Rechtsberatung im 21. Jahrhundert neu denken wollen.

Du betreibst die Internetseite dasrecht.de. Was verbirgt sich dahinter?

Mit dasrecht.de wollen wir Rechtsberatung digitalisieren, skalierbar machen und damit demokratisieren. Der Beruf des Rechtsanwalts hat traditionell einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Aber die meisten Menschen außerhalb unserer Profession machen sich keine Vorstellung davon, wie trivial und dilettantisch die Arbeit in den Kanzleien im Jahr 2016 hinter den Kulissen teilweise noch ist. Besonders im Bereich Dokumenterstellung und Analyse (Verträge, Testamente usw.) fallen Anspruch und Wirklichkeit eklatant auseinander. Nehmen wir einen Fachanwalt für Erbrecht, oder Notar: Der hat seine Standard – Beratung für ein Standard – Problem plus ein Repertoire von 10-15 Standard – Versatzstücken (Familie mit Kindern, Paar ohne Kinder, Immobilie soll vererbt werden, etc.). Dieses Paket verkauft er Woche um Woche zum teuren Einheitspreis nach der Gebührenordnung und der Verbraucher merkt gar nicht, wie wenig Value er für sein Geld bekommt, da er die Rechtsberatung nur einmal in Anspruch nimmt. Nehmen wir anderseits einen “Feld – Wald und Wiesen Anwalt” von um die Ecke. Wenn ich den bitte, sich mal die AGB für meinen Onlineshop anzugucken, macht der das im Zweifel das erste Mal und muss sich wie ein kompletter Laie mit Büchern oder PDFs von BeckOnline einlesen. Er schreibt am Ende einen Berg an billable hours auf, obwohl ein Shop genau wie dieser jeden Tag 20 mal in Deutschland eine AGB Beratung braucht. Der Markt für Rechtsberatung ist in Deutschland momentan noch extrem fragmentiert, was zu einer lose – lose Situation führt: Konsumenten werden overbilled, manche Anwälte können sich auf deren Kosten bereichern, während andere Anwälte gezwungen sind, uninspirierte low agency Arbeit zu verrichten.

Was wird sich in Zukunft an dieser doch nicht geraden positiven Situationsbeschreibung ändern und wie kommt dasrecht.de hier ins Spiel?

Die nahe Zukunft wird diesen verkalkten status quo aufbrechen. Der Megatrend für die Berufswelt im 21ten Jahrhundert ist folgender: Die Gatekeeper verlassen ihre Posten und die alten “Betriebsgeheimnisse” der Berufe sind nicht mehr geheim. Ein Suchender kann in immer mehr Bereichen ohne Intermediär seine gewünschte Information konsumieren. Wenn ich heute ein guter Hobbyfotograf werden will, genügt es, wenn ich mir eine einfache Spiegelreflexkamera kaufe und nach Tutorials auf Youtube suche. Nach 2-3 Stunden kann ich professionelle Bilder machen, wie es vor 20 Jahr nur jemand konnte, der eine entsprechende Berufsausbildung gemacht hat. Heute kann jeder Fotograf, sein eigener Musikproduzent, Journalist usw. sein. So macht Technologie unser Leben kreativer, einfacher und besser.

Diesen Trend bringt dasrecht.de in die Rechtsberatung, ein legal empowerment. Die klassische Aufgabe des Rechtsanwalts ist es, das Recht mysteriös und kompliziert erscheinen zu lassen, das ist seine Daseinsberechtigung. Wenn er dem Verbraucher darlegen würde, dass sein Problem eigentlich nicht schwieriger als die Bedienung einer Spiegelreflexkamera ist, wäre dieser nicht bereit, mehrere hundert Euro zu zahlen. DasRecht.de ist das genaue Gegenteil. Unsere Produkte machen das Recht verständlich und in klarem Deutsch anschaulich. Zu einem Bruchteil der traditionellen Kosten.

Unser erstes Produkt wird daher ein Tool für Verbraucher zum Thema Erbrecht sein, mit dem jeder Einzelne die gesetzliche Erbfolge in seiner Familie grafisch analysieren kann und auf individuelle Risiken hingewiesen wird. Wir setzen dabei völlig neue Maßstäbe mit cutting edge Technologie, in der wir Videos remixen und mit Infografiken interagieren lassen, so dass für den User das Recht plastisch und erlebbar wird. Am Ende schlagen wir einen maßgeschneiderten Vorlagentext zum Download vor. Damit sind wir an der technologischen Spitze der #legaltech und zeigen, wie die Rechtsberatung der Zukunft im Consumer Bereich aussieht.

Warum habt ihr euch für den Bereich Testamente entschieden?

Wir haben uns für Testamente als unser erstes Produkt entschieden, da in diesem Bereich Verbrauchern in besonders krasser Weise der access to justice verwährt sind. Ein Testament ist für praktisch jeden Menschen mit etwas Vermögen sinnvoll. Trotztem hat nur eine Minderheit der Deutschen bisher ein Testament. Das führt zu einer rechtlichen zwei Klassen Gesellschaft. Auf der einen Seite haben wir wohlhabende Menschen, die alle Tricks des Erbrechts bzw. Steuerrechts voll ausnutzen, da sie ohnehin schon einen “Haus und Hof” Anwalt haben oder ansonsten den oft gesalzenen Stundensatz eines Fachanwalts nicht scheuen. Ihre Familien werden so über Generationen immer reicher. Und auf der anderen Seite haben wir eine rechtlich abgehängte Mehrheit der Normalverdiener wie Lehrer, Angestellte und Freelancer, die nicht schon regelmäßig mit uns Anwälten zu tun haben. Für solche Menschen ist der erste Gang zum Rechtsanwalt per se schon abschreckend. Die breite Mittelschicht in Deutschland ist zudem sehr vernünftig in Finanzsachen und daher verständlicherweise nicht bereit, eine intransparente Dienstleisung als Katze im Sack zu kaufen. Mit unserer Software werden wir diese Ungerechtigkeit ein klein wenig ausmerzen und mehr Menschen qualitativ hochwertigen Zugang zum Recht ermöglichen.

Hast du selbst einen Background als Softwareentwickler oder woher kommt das Interesse den traditionellen Rechtsmarkt mit Legal Tech “aufzubohren”?

Ich habe schon seit ich 15 bin Websites gebaut und Spiele programmiert und mir so das Coden beigebracht. Nach dem Abi erschien es mir so, als ob Web- bzw. Softwareentwicklung und andererseits Jura zwei Karrierepfade wären, die in komplett unterschiedliche Richtungen führen. T-Shirt oder Anzugträger, Vollbart oder stressbedingte Glatze mit 35. Ich hab mich für das Jura Studium entschieden, aber während des Studiums nebenbei kleinere Aufträge für Websites angenommen, da Bezahlung und Spaßfaktor hoch waren. Ich bin aber immer davon ausgegangen, diese Leidenschaft müsse mit dem Ende des Referendariats enden, um mich dann Vollzeit auf eine Karriere in einer Kanzlei zu konzentrieren. Legaltech war zu diesem Zeitpunkt noch lange kein Thema in Deutschland. Klar, IT-Recht als Heimat der Nerds unter der Juristen war mir natürlich ein Begriff. Aber es erschien mir immer eine große Ungerechtigkeit, dass die Anwälte dort praktisch den Teil des Geschäfts erledigen, der Sorgen und Ärger macht, aber dann nicht mehr gebraucht werden, sobald der roadblock beseitigt ist und der Spaß beginnt. Ich glaube ich habe den Begriff Legaltech dann das erste Mal vor 2 Jahren gehört, als mir ein Freund das Buch von Richard Susskind empfahl. Ich betrachte mich daher als echt glücklich, dass diese 2 scheinbar unversöhnbaren Pfade auf so günstige Art genau in dem Moment aufeinander treffen, in dem mein Studium und Referendariat abgeschlossen sind.

Unversöhnbare Pfade… Auch Niklas Luhmann sagte in einem bekannten Bonmot, das ich ich hier paraphrasiere: “Recht und Technologie passen so gut zusammen wie Reh und Auto – nämlich gar nicht”. Was ist deiner Meinung nach der Grund, weswegen Legal Tech in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt?

Es ist mir ehrlich gesagt selbst ein Rätsel, aber ich habe eine Vermutung. Der gewöhnliche Lag, also die Zeitverzögerung für den Technologietransfer aus den USA nach Deutschland beträgt 2 Jahre. Was ich bisher auf dem deutschen legaltech Markt so gesehen habe, sieht eher nach einem Lag von 10 Jahren aus. Noch dazu sind die meisten Player in Deutschland bloße copycats oder low tech, wie Vermittlungsagenturen. Leverton mal ausgenommen, die Jungs scheinen mir echt innovative, gute Software zu schreiben. Natürlich wäre es einfach, diese Rückständigkeit auf eine generell höhere Fortschrittsfreundlicheit der Amerikaner zu schieben, aber das halte ich für Unsinn. Wir sind das Land der Erfinder. Aus Deutschland kommen sowohl der Computer als auch eine der besten Rechtsordnungen weltweit. Wenn es nicht die generelle Mentalität der Bevölkerung ist, liegt es dann an der Behäbigkeit der hiesigen Kanzleien? Schon Darwin wusste: Evolution benötigt Evolutionsdruck. Ohne Löwen kann auch die langsamste Gazelle überleben, Stagnation tritt ein. Susskind identifiziert hier die more for less challenge als diejenige Kraft, die auf Kanzleien analog zur natürlichen Selektion im Tierreich wirkt. Dank der starken hiesigen Wirtschaft könnte man argumentieren, dass diese more for less challenge die deutschen Großkanzleien bisher weniger hart getroffen hat, als angelsächsische Kanzleien nach der Krise von 2008. Ich halte aber auch diesen Erklärungsansatz für falsch, da vergleichbare Trends nicht top down verordnet werden. Ich glaube du hast selbst zu diesem Punkt gerade letzte Woche gebloggt. Wer hier wirklich in der Pflicht ist, sind doch die jungen Uniabsolventen, die digital natives. Sie verstehen, dass der Wandel, den wir gerade erleben, mehr ist, als der peinliche Versuch 10 Jahre after the fact Faxe durch Emails zu ersetzen, #beA. Ernsthaft, gibt es noch Menschen in der Welt, außer deutschen Anwälten, die Faxe verschicken? Deutsche Anwälte sind Rehe, keine Autos: Denen kann man unmöglich die Schuld geben, dass wir den Anschluss verlieren.

Im Endeffekt liegt das Problem für mich in der völlig verkorksten Juristenausbildung in Deutschland. Das Studium und Referendariat sind hocheffektive Filter, die gewöhnlich das letzte bisschen Kreativität aus unseren Absolventen herauswringen. Da wir in der Ausbildung meistens über die selben Probleme nachdenken, über die schon vor 100 Jahren nachgedacht wurde, ist jeder Gedanke gedacht, jedes noch so verquaste Argument in einer Festschrift zum 80sten Geburtstag von Professor soundso abgedruckt. Als Student lernt man so schnell: eigene Ideen oder Argumente zu entwickeln ist komplette Zeitverschwendung. So zu denken wie alle anderen ist Trumpf und wird vom System mit Punkten belohnt, die das Maß aller Dinge sind. Wer das nicht versteht wird ausgesiebt. Ein erfolgreicher Unternehmer ist dagegen derjenige, so Peter Thiel, der contrarian beliefs hat. Ich als Unternehmer werde dann bezahlt, wenn ich Recht habe, während alle anderen Unrecht haben. So zu denken ist generell selten. Unter konformistischen Jura Absolventen ist der contrarian believer dann tatsächlich das Auto zum Reh.

Die Juristenausbildung scheint nicht nur “verkorkst”, sondern auch sehr beständig: Eigentlich funktioniert die Juristenausbildung wie noch zu Preußens Zeiten. In Deutschland gibt es mit dem “Bucerius Law Port” an der Bucerius Law School in Hamburg erste Anzeichen für eine Integration von Legal Tech in den Lehrplan. Was ist aus deiner Sicht die wichtigsten Fähigkeiten, die ein Jurist für das 21. Jahrhundert mitbringen sollt und wie können Unis dieses Fähigkeiten fördern bzw ausbilden?

Schön zu sehen, dass zumindest von der BLS in meiner Heimatstadt schon so konkrete Anstrengungen ausgehen, die Juristenausbildung praxisrelevant zu halten. Ich glaube allerdings nicht, dass wir in absehbarer Zeit Javascript oder NoSQL 101 auf den Lehrplänen der Unis sehen werden. Ich bezweifle auch stark, dass dies sinnvoll wäre. Menschen können schließlich Google Maps auf ihrem Handy auch ohne Detailverständnis der Physik des Satelliten dahinter benutzen. Soll heißen: es gibt ein gesellschaftlich effizientes Mischverhältnis von Innovatoren zu Imitatoren und es gibt keinen Grund dieses künstlich ändern zu wollen. Ein gesundes Maß an Ignoranz. Problematisch wird es erst, wenn die Technikignoranz so groß wird, dass die Kids annehmen, das Handy wüsste halt von sich aus, wo es ist. Aber so weit sind wir gottseidank noch nicht.

Ich bin kein Experte auf dem Gebiet, aber es scheint mir so, als ob damals in Preußen die Juristenausbildung noch eher der angelsächsischen glich, also in den Hörsälen mehr gestritten und aus der Hüfte geschossen wurde. Dinge die ich in meiner Ausbildung an der Uni Konstanz und Hamburg nicht ein einziges Mal erlebt habe. Sinnvoller als Programmierkurse für Juristen wäre es daher meiner Meinung nach, dem Hang zum Perfektionismus an den Fakultäten entgegenzuwirken. Natürlich müssen Juristen sauber arbeiten. Aber es muss auch vermittelt werden, dass es ok ist mal daneben zu liegen, solange es eine kreative eigene Idee war. In Sachen Datenbanken und Archive schlagen Computer Menschen schon seit den 90ern. Der einzige Grund warum es heute noch lukrativ für Anwälte ist, Informationen aus proprietären Datenbanken zu ziehen, in eigene Worte zu fassen und dann zu verkaufen, ist, dass die Interfaces zwischen Mensch und Datenbank im Großen und Ganzen immer noch wie vor 20 Jahren aussehen und die Daten nicht ordentlich aufbereitet sind. Das Wissensarchiv in den Köpfen der Absolventen entwertet sich mit besseren Jura Datenbanken jeden Tag ein bisschen. Und an dem Tag, an dem die Interfaces so gut geworden sind, dass auch ein Laie den Nachfolger von BeckOnline benutzen kann, erreicht der Wert 0. Wir werden mit dasRecht.de unseren Teil dazu beitragen, dass diese Interfaces besser werden.

Aber solange es den Volljuristen und Staatsexamen gibt, wird der Hauptanreiz für Studenten immer sein, möglichst viel Wissen anzuhäufen und alte Meinungsstreits auswendig zu lernen, anstatt sich auf die eigene Schöpfungskraft zu verlassen. Bis dahin können Institutionen wie der Law Port m.E. vor allem Geschichten erzählen und Ignoranz bekämpfen, damit die potentiellen Innovatoren von morgen wissen, dass es erfüllende Karrieren jenseits von dickem Einstiegsgehalt gibt. Und wer weiß, vielleicht erleben wir dann irgendwann eine Trendwende. Man hört ja von unseren BWL Kollegen an den WHUs und EBS des Landes, dass dort nicht mehr die gutbezahlten Consulting Karrieren sexy sind, sondern wilde Startups, Innovation und Pizzakartons.

Zurück zu eurem Startup www.dasrecht.de. Was sind eure Pläne für das nächste Jahr? Wo seht ihr eure größten Chancen aber auch Herausforderungen?

Wir werden mit unserem Erbrechtstool eine neue Produktkategorie definieren: Legaltech zum Anfassen. Ungelenker Text im Juristendeutsch und Formulare werden ersetzt durch Erklärvideos und grafische UX als Medium. Damit adressieren wir ein viel größeres Problem als Erbrecht. Ich bin der Meinung wir Juristen überschätzen generell die Bereitschaft von Nichtjuristen, seitenlange komplizierte Rechtstexte zu lesen. Die Vorlesepflicht § 13 BeurkG, bei der 99% aller angehenden Immobilienkäufer “auf Durchzug schalten”, oder die größte Lüge in der Geschichte des Internets “Ja, ich habe die AGB gelesen” sind nur 2 Beispiele für den Fakt: Wir Juristen haben ein fundamentales Kommunikationsproblem. Wenn wir nach dem launch sehen, dass wir hier onto something sind, ist dieses Geschäftsmodell daher leicht auf andere Rechtsgebiete skalierbar. Mit der Marke dasRecht.de haben wir uns ja schließlich einiges vorgenommen.

Fritz, vielen Dank für das Gespräch!