Hacking.Law – Deutschlands erster Legal Tech Hackathon #berlinlegaltech2017

von Nico Kuhlmann

In English: Illustrated retrospective by host Florian Glatz

Am 8. und 9. Februar fand im Rahmen der Berlin Legal Tech 2017 als deren Auftakt der deutschlandweit erste Hackathon zu juristischen Themen statt. An diesem einzigartigen Event haben zirka 100 Teilnehmer aus ganz Europa unter der Leitung von RA Florian Glatz (@heckerhut) und Prof. Dr. Breidenbach sowie mit der Unterstützung durch weitere Pioniere der Legal Tech-Szene gemeinsam aktuelle juristische Probleme identifiziert und anschließend direkt entsprechende Lösungen entwickelt, um unter anderem den Zugang zum Recht zu verbessern. Die Ergebnisse wurden am Ende des zweiten Tages vor einer Fachjury gepitched, bewertet und ausgezeichnet. Die Resultate waren in den Worten von Markus Hartung (Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession) „kaum zu glauben“.

Zum Hackathon (Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“) waren die Teilnehmer in die wunderschönen Räumlichkeiten der IOTA Fundation in Berlin Charlottenburg eingeladen worden, um kollaborativ auf kleinem Raum und somit bei hoher Dichte innerhalb der zur Verfügung stehenden, kurzen Zeit Prototypen für Softwarelösungen zu entwickeln. Einige der Teilnehmer kannten sich bereits vorher, aber die Mehrheit der teilnehmenden Juristen, Softwareentwickler und sogenannten Legal Engineers war ohne bestehendes Team und ohne konkretes Projekt angereist.

Zur Problemidentifizierung wurde darum zuerst ein gemeinsames Brainstrorming (sog. Idea Hacking) zu den Themenbereichen Industrialisierung, Blockchain und Künstliche Intelligenz veranstaltet. Die Teilnehmer wurden unter Anleitung von entsprechenden Experten aufgefordert, sich Gedanken dazu zu machen, welche aktuellen Probleme auf dem Rechtsmarkt bestehen, wie der Zustand eigentlich sein sollte, und mit welchem Produkt oder Service diese Diskrepanz überbrückt werden kann.

Anschließend konnten in offener Atmosphäre die Vorschläge weiter diskutiert werden. Dabei kristallisierten sich bereits die ersten Präferenzen und Kleingruppen heraus. Im Anschluss stellten einzelne Teilnehmer ihre konkretisierte Idee für eine Softwarelösung bei einem kurzen Pitch vor. Durch dieses Vorgehen, das insgesamt zweimal wiederholt wurde, fanden sich ohne zentrale Steuerung die Teilnehmer zusammen, die dieselbe Idee umsetzen wollten und die dafür notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen besaßen.

Das interdisziplinäre Team Contract Checker bestand beispielsweise aus mehreren Juristen aus Deutschland und der Schweiz, einem Legal Engineer sowie einem Entwickler mit Schwerpunkt Data Engineering. Gemeinsam sollte das Problem gelöst werden, dass unzählige Menschen rechtswidrige Klauseln in ihren Verträgen haben, davon aber nichts wissen und deshalb trotzdem die vermeintliche vertragliche Regelung befolgen. Um das Thema einzugrenzen und somit innerhalb der kurzen Zeit handhabbar zu machen, konzentrierte sich das Team auf Schönheitsreparaturklauseln in privaten Mietverträgen. Im Ergebnis sollte ein funktionierendes Programm entwickelt werden, das automatisch die Wirksamkeit – oder eben die Unwirksamkeit – einer bereitgestellten Klausel anzeigt.

Um dieses Ziel zu erreichen, werteten die Juristen zuerst die Rechtsprechung aus, verglichen Formularhandbücher und formulierten eigene Klauseln. Der Wortlaut dieser Klauseln und deren Wirksamkeit wurden anschließend zusammen mit der Fundstelle in einer Datenbank erfasst, die am Ende fast einhundert Einträge umfasste.

Mit dieser Datenbank trainierte der Data Engineer ein Berechnungsmodell, das Wörter und Wortpaare dahingehend untersucht, ob diese rein statistisch eher in wirksamen oder in unwirksamen Klauseln vorkommen. Die Wahrscheinlichkeiten aller Einzelelemente wurden dann zusammengefügt und in eine Gesamtwahrscheinlichkeit umgerechnet. Dabei konnte eine Vorhersagegenauigkeit von über 80% erreicht werden.

Der Legal Engineer entwickelte währenddessen eine graphische Benutzeroberfläche als Webseite, in der die Textdatei des Vertrages in eine Webanwendung hochgeladen werden kann. Das erstellte Programm analysiert die Schönheitsreparaturklausel dann im Hintergrund und gibt dem Nutzer ein Feedback durch eine graphische Anzeige. Im Ergebnis zeigt ein Pfeil neben der entsprechenden Klausel visuell und leicht verständlich auf einer Skala von rot über neutral bis grün an, ob die Klausel wirksam ist.

Die Entwicklung dieses Prototyps wurde nach zirka 30 Stunden Teamarbeit, mehreren Kisten Mate-Tee, diversen Pizzalieferungen und einer vergleichsweise kurzen Nacht im Schlafsack unter den Schreibtischen fertiggestellt. Jeder Teilnehmer stellte dabei seine individuelle Fachkompetenz zur Verfügung und lernte währenddessen, welches Zwischenprodukt der jeweils nächste in der Kette von ihm benötigte, um gemeinsam die Gesamtlösung erstellen zu können.

Am Abend des zweiten Tages präsentierten insgesamt 8 Teams ihre Ideen, Konzepte und Prototypen in einem Berliner Co-Working-Space vor 100 Zuschauern sowie einer fachkundigen Jury aus der Startup- und Technologie-Szene und stellten sich den Nachfragen. Die Bewertungskriterien waren dabei unter anderem, welche Relevanz die Idee für die Nutzer und welche potenzielle Auswirkung die Softwarelösung für die Gesellschaft hat.

Den ersten Platz erreichte das Team RenoJane, das eine gleichnamige, sprechende, virtuelle Assistentin für Rechtsanwälte präsentierte. Auf mündlichen Befehl legte RenoJane vor den Augen des Publikums Erinnerungen an und speicherte die Daten neuer Mandanten ab. Der umständliche Umweg über Maus und Tastatur entfällt. Nach der Preisverleihung feierten die Teilnehmer, die Jury und die Zuschauer gemeinsam die Ergebnisse des Hackathons.

Die Veranstaltung hat gezeigt, dass viele rechtliche Probleme unter Verwendung aktueller technologischer Ansätze und durch neue Konzepte einfacher, schneller und im Ergebnis kostengünstiger gelöst werden können als durch traditionelle juristische Handarbeit. Es muss sich nur jemand dran und die Ideen umsetzen. Das Entwicklungspotenzial von Legal Tech ist für die nächsten Jahre und Jahrzehnte enorm.

Der erste deutsche Legal Tech Hackathon wird diesbezüglich als eine Keimzelle der anstehenden Entwicklungen und Umwälzungen in die Geschichte des deutschen Rechtsmarkts eingehen.

Der Autor war Moderator der Gruppe Künstliche Intelligenz und Mitglied des Teams Contract Checker.