Micha-Manuel Bues: Richard und Daniel Susskind legen in ihrem unlängst erschienen Buch “The Future of the Professions” ausführlich dar, dass sich der Anwaltsberuf in den nächsten Jahren rapide ändern wird. Herr Prof. Staub, Sie sind als Akademischer Direktor der Executive School of Management, Technology & Law der Universität St. Gallen bestens über die Trends in der Rechtsbranche informiert. Welche Trends und Entwicklungen beobachten Sie im Rechtsmarkt?
Prof Staub: Wir sehen fünf bedeutende Trends: (1) Globalisierung des Anwaltsgeschäfts, (2) Shift der Marktmacht vom Anbieter (Anwalt) auf den Nachfrager (Unternehmen), (3) Disaggregation rechtlicher Dienstleistungen, (4) Technologie und (5) Eintritt der Generation „Y“ ins Partner-Alter. Lassen Sie mich kurz erläutern, was wir damit meinen:
Im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft sind immer mehr Unternehmen dazu übergegangen, ihre Wertschöpfungsketten vertikal aufzubrechen. Zulieferer grösserer Unternehmen werden nicht nur on-shore gesucht und gefunden, sondern eben auch off-shore. Diese Zulieferer sind zudem oft kleinere und mittelständische Unternehmen. Damit sind auch deren Anwälte – und das sind beileibe nicht mehr nur die grossen, internationalen Kanzleien – gezwungen, sich mit transnationalen juristischen Problemstellungen auseinander zu setzen. Auch sie werden „globalisiert“.
Zunehmende Transparenz im Markt für rechtliche Dienstleistungen und der Effizienzdruck bei Unternehmensmandanten als Ausfluss wachsenden Wettbewerbs in allen Industrien haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass auch Anwaltshonorare unter Druck geraten sind. Mandanten sind immer weniger bereit, horrende Stundensätze auf abgerechneten Arbeitsstunden zu bezahlen. Sie fordern Discounts, Kostendächer, Festhonorare oder die Beteiligung von Kanzleien am Risiko, und sie setzen diese Vorstellungen zunehmend erfolgreich im Markt durch, oft mit Hilfe ihrer Procurement-Abteilung. Im Gegensatz zu früher sind heute Unternehmensmandanten im Markt für rechtliche Dienstleistungen, die nicht am absoluten high-end anzusiedeln sind, klar am längeren Hebel, wenn es um das Aushandeln der Mandatskonditionen geht.
Eine Möglichkeit, um Mandate effizienter zu erledigen – und hier hat Richard Susskind mit seinem Werk „The End of Lawyers“ Pionierarbeit geleistet – , ist die Aufteilung anwaltlicher Arbeit in unterschiedliche Teilprozesse. Aufteilungskriterium ist der Grad der professionellen Expertise, der für die Erledigung der einzelnen Arbeiten notwendig sind. Während hoch-qualifizierte Arbeit immer noch von den besten des Fachs geleistet werden muss, können weniger anspruchsvolle Elemente eines Mandates an tiefer qualifizierte Kanzleien oder sogar an Nicht-Juristen vergeben werden. Das spart Kosten und führt unter Umständen gar zu höherer Qualität, weil sich die zunehmende Spezialisierung auch von Anbietern am low-end der Wertschöpfungskette natürlich positiv auf das Arbeitsergebnis auswirken kann.
Der enorme technologische Fortschritt der letzten Jahre hat nicht nur in der Kanzleiadministration zu Effizienz-Sprüngen geführt. Immer deutlicher wird auch, dass die anwaltliche Kerntätigkeit der Aufbereitung des Sachverhalts, der juristischen Recherche und Analyse, aber eben auch der juristischen Lösungsfindung und der Kommunikation im Team sowie jener zwischen Kanzlei und Mandanten unter den Einfluss disruptiver Technologien gerät. Diese Technologien haben das Potenzial, die Geschäftsmodelle von Kanzleien radikal zu verändern, ja sie komplett auf den Kopf zu stellen. Künstliche Intelligenz und Big Data sind nur zwei der Schlagworte, welche diese Entwicklung kennzeichnen. Sie führt, zu Ende gedacht, dazu, dass selbst qualifizierte juristische Arbeit in der Zukunft weitgehend Computer-gestützt geleistet werden wird.
Der letzte der fünf grossen Trends ist der Eintritt der Generation „Y“ in ein Alter, in dem die Promotion zur Partnerschaft in der Kanzlei ansteht. Viele dieser jungen Leute sind nicht mehr bereit, die Mandatsarbeit als alles dominierende Kraft bei der Lebensgestaltung zu akzeptieren. Sie stellen die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit, legen Wert auf Familienzeit, pflegen neben der Arbeit noch andere Interessen, wollen Alternativen und Optionen zur Kanzleikarriere ausprobieren und akzeptieren Tradition als wesentlichen Referenzpunkt für die Karriereplanung nicht mehr. Damit gerät auch das klassische up-or-out-Prinzip in Kanzleien ins Wackeln.
Wie reagieren Kanzleien und Anwälte Ihrer Erfahrung nach, wenn Sie mit den von Ihnen beschriebenen Trends und Entwicklungen konfrontiert werden?
Wie andere Industrien, die vom Strukturwandel betroffen sind: Zuerst wird eine Entwicklung übersehen, dann ignoriert und schliesslich klein geredet. Nimmt man Struktur-verändernde Phänomene endlich ernst, versucht der traditionelle Markt, sich auf der Futterkette nach oben zu bewegen. Die Luft wird dünn und dünner. Schliesslich kommt es zu einer grossen Konsolidierungswelle. Jene, welche die Entwicklungen früh gesehen und antizipiert, mindestens aber zügig adaptiert haben, zählen zu den Gewinnern. Die anderen verschwinden vom Markt. Was den Anwaltsmarkt betrifft, so ist diese Entwicklung etwa in England schon sehr deutlich zu sehen. Der eben geschilderte Ablauf wurde übrigens jüngst in der Forschung von Clayton Christensen (Harvard) für den Anwaltsmarkt sehr schön beschrieben.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Fähigkeiten, die ein Anwalt erlernen bzw. beherrschen sollte, um mit den aufgezeigten Trends und Entwicklungen Schritt halten zu können?
Wir Anwälte müssen strategisch denken können und nach operationeller Exzellenz streben. Wie entwickelt man eine nachhaltige Strategie, wie ein funktionierendes Geschäftsmodell? Wir richtet man die Kanzlei ganz auf die Erfordernisse des Marktes und die Bedürfnisse der Mandanten aus? Wie setzt man modernste Technologien für Innovation und Effizienzgewinn ein? Wie betreibt man ein professionelles Risikomanagement? Welche Kennzahlen lassen eine enge und vorausschauende Beobachtung der Kanzleientwicklung zu? Und so weiter und so fort. Die wichtigste Fähigkeit der Partner ist aber wohl jene zu echter Leadership in der Kanzleiführung. Dazu brauchen wir unternehmerisches Rüstzeug. Das bringt uns aber im juristischen Studium niemand bei. Weiterbildung ist daher das Gebot der Stunde! Wer stehen bleibt, wird von der bereits angelaufenen Entwicklung zum Strukturwandel in unserem Markt überrollt.
Haben Sie beobachten können, dass sich Anwälte vermehrt mit dem Thema Legal Tech, also dem Einsatz von Technologie im Recht, beschäftigen?
Das tun wohl noch die wenigsten, leider! Selbstverständlich gibt es tolle Ausnahmen, vor allem im obersten Marktsegment der nationalen und internationalen „Champions“, aber auch bei jenen Kanzleien, die sich der Erzeugung von juristischen commodities verschrieben haben. In technologischer Hinsicht wenig Bewegung ist namentlich im Segment der mittelständischen Kanzleien auszumachen. Dabei werden es gerade die sein, die wohl am meisten unter Druck geraten, wenn die beschriebenen Marktentwicklungen weiter fort schreiten. Lassen Sie mich hierzu aber noch etwas wichtiges beifügen: Die Beschäftigung mit moderner Technologie ist nicht Selbstzweck. Jede Kanzlei muss für sich beantworten, wie sie sich auf dem Markt positionieren will, welches die damit verbundenen Risiken und Chancen sind, und welche Ressourcen sie zur Entwicklung und Festigung ihrer Marktposition einsetzen will. Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, stellt sich jene nach dem sinnvollen Einsatz neuer Technologien.
Woran liegt es aus Ihrer Sicht, dass viele Anwälte eher zurückhaltend mit dem Einsatz von Technologie sind und es im Rechtsmarkt insgesamt nur wenig Innovationen gibt?
Für das Gros unseres Marktes trifft Ihre Beobachtung wohl zu. Wir sind träge, wenn es darum geht, Neues willkommen zu heissen und für die Zwecke der Kanzlei zu adaptieren. Kein Wunder: Unser Markt war lange geschützt und nicht wirklich dem Wettbewerb ausgesetzt. In unserer Ausbildung war zudem der Einsatz von Technologie nie ein Thema. Hinzu kommt, dass es uns eigentlich immer noch gut geht. Die Nachfrage nach rechtlichen Dienstleistungen steigt und verdeckt derzeit noch viele strukturellen Probleme. Wie wollen Sie einem völlig ausgebuchten Anwalt erklären, dass er sein Geschäftsmodell weiter entwickeln und in Innovation investieren soll? Lange kann das oben beschriebene Ignorieren der strukturellen Veränderungen in unserem Markt aber wohl nicht mehr gut gehen ….
Können Hochschulen hier einen Mentalitätswandel herbeiführen? Sie selbst engagieren sich für das Projekt LawWithoutWalls bei dem es darum geht, mit Studenten ein Startup zu gründen, das ein tatsächlich vorhandenes Problem in der Rechtsbranche löst. Können Sie kurz von Ihren Erfahrungen mit diesem Projekt berichten?
An der Universität St. Gallen sind betriebswirtschaftliche Lehrinhalte schon lange Bestandteil des Curriculums in der juristischen Ausbildung. Wir sind der festen Überzeugung, dass ökonomische Kenntnisse unbedingte Voraussetzung für die Erteilung von juristischem Rat im Wirtschaftsrecht sind. LawWithoutWalls ist nur eines von vielen Programmen, das uns hilft, die Zielsetzung einer praxisnahen und wirtschaftlich ausgerichteten Ausbildung unserer Jura-Studierenden zu erreichen. Bei LawWithoutWalls beschäftigen sich die Studierenden mit der Ausarbeitung von Projekten, in denen der Einsatz moderner Technologien im Rechtsmarkt im Mittelpunkt steht. Ein erwünschter Nebennutzen dieses Lehrgangs ist aber natürlich auch die Arbeit in Gruppen mit Kommilitonen aus der ganzen Welt und damit das Üben transkultureller Interaktion. LawWithoutWalls hat sich zu einem überaus wertvollen und bei Professoren und Studierenden gleichermassen geschätzten Teil unseres Lehrangebots entwickelt!
Vielen Dank für das Gespräch!