Softwareentwicklung in Kanzleien – Interview mit Simon Ahammer

von Nico Kuhlmann

In einer Kanzlei arbeiten mittlerweile nicht nur Volljuristen, sondern auch immer mehr Softwareentwickler. Die Tätigkeiten beider Berufsgruppen unterscheiden sich dabei nicht so gravierend, wie man meinen könnte. In Zukunft werden dann besonders die Mitarbeiter gefragt sein, die in beiden Welten zu Hause sind.

Simon Ahammer ist seit knapp zwanzig Jahren als Rechtsanwalt in München tätig und leitet gegenwärtig die Softwareentwicklung bei der Kanzlei Beiten Burkhardt. Bereits seit seinem juristischen Studium beschäftigt er sich intensiv mit Softwareentwicklung im anwaltlichen Umfeld und programmiert seitdem entsprechende Anwendungen. Auf Kongressen und Tagungen hält er Vorträge unter anderem zu den Themen Legal Tech sowie Implementierung von Softwarelösungen bei Kanzleien und Rechtsabteilungen. Darüber hinaus berät er andere Kanzleien bei der Konzeptionierung, Umsetzung, Anpassung und Einführung von Softwarelösungen. Schließlich veröffentlicht er seit kurzem auch Beiträge auf seinem Blog Legal Tech Nerd.

Nico Kuhlmann: Lieber Simon, Du bezeichnest dich selbst als Legal Tech Nerd. Was verstehst Du genau unter Legal Tech und warum bist Du ein Nerd?

Simon Ahammer: Unter Legal Tech verstehe ich die Nutzung von Software im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit, sowohl auf organisatorischer als auch auf inhaltlicher Ebene. Als Computer-Nerd bezeichne ich mich selbst deshalb, weil ich neben meinen anwaltlichen Tätigkeiten auch schon sehr viel Zeilen Sourcecode produziert habe.

Nico Kuhlmann: Du hast dich bereits in Deinem Studium mit der Entwicklung von Software beschäftigt. War dir schon damals klar, worauf der Rechtsmarkt zusteuert und wolltest Du dich strategisch positionieren?

Simon Ahammer: Dass Software auch im anwaltlichen Umfeld immer mehr an Bedeutung gewinnen wird, zeichnete sich in den 90er Jahren schon zu Beginn meiner Tätigkeit in der Softwareentwicklung für Anwaltskanzleien ab. Die Dynamik und das immer größer werdende Anwendungspotenzial war mir aber zum damaligen Zeitpunkt nicht bewusst. Ich fand es vielmehr immer schon sehr spannend, die anwaltliche Tätigkeit durch den Einsatz passender Programme zu optimieren und zu verbessern.

Nico Kuhlmann: Welche Softwarelösungen hast du bereits entwickelt und welche hatten den größten Einfluss auf den Arbeitsablauf?

Simon Ahammer: Ich habe sowohl Anwendungen im Bereich Business Development und Veranstaltungsmanagement  sowie für die Kanzleiorganisation entwickelt. Bei Anwendungen für die Kanzleiorganisation ging es insbesondere um Time & Billing, Reporting, Abrechnung, Custom-Relation-Management und Aktenverwaltung.

Darüber hinaus habe ich auch sogenannte Smarttools für die inhaltliche anwaltliche Tätigkeit programmiert. Insbesondere diese Smarttools haben die Arbeitsweise innerhalb des Mandates doch erheblich beeinflusst, da mit Hilfe dieser Programme die einzelnen anwaltlichen Tätigkeitsschritte und Recherchetätigkeiten gebündelt und optimiert zur Verfügung gestellt wurden.

Nico Kuhlmann: Kannst Du ein paar Beispiele dieser Smarttools geben? Was genau können diese Anwendungen?

Simon Ahammer: Bei einem Smarttool geht es um die Unterstützung bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen. Neben Schadensberechnungen wurde der Datenbestand  im Programm an Urteilen zu Haftungsverteilungen, Schmerzengeldbeträgen, sonstigen relevanten Entscheidungen und Checklisten automatisch aktualisiert und können mit einem Klick in die von dem Programm automatisch erstellten Dokumente übernommen werden. Die juristischen Inhalte und Dokumentvorlagen wurden von einem Expertenteam aus Anwälten und Richtern speziell für die Verwendung in den Smarttools evaluiert, bewertet und aufbereitet. Ein anderes Smarttool unterstützte beim Nachtragsmanagement in Baurechtsangelegenheiten.

Nico Kuhlmann: Du arbeitest viel mit anderen Anwälten zusammen, wenn es um die Implementierung von Softwarelösungen in Kanzleien geht. Was sind die größten Missverständnisse und Fehlvorstellungen auf Seiten der Anwälte?

Simon Ahammer: Auf anwaltlicher Seite ist, nach meinen Beobachtungen, leider im Augenblick die Gruppe der Totalverweigerer bzw. Skeptiker noch ziemlich hoch. Man will sich mit technischen Aspekten grundsätzlich nicht beschäftigen. Alles getreu nach dem Motto: Hätte ich was Mathematisches gewollt, so hätte ich nicht Jura studiert. Die Anwälte glauben, dass die menschliche Expertise bei der Fallbearbeitung auch zukünftig im derzeitig hohen Umfang benötigt wird.

Viele Möglichkeiten in der Optimierung und auch Verbesserung der Mandatsarbeit durch den Einsatz von geeigneten Softwarelösungen bleiben daher ungenutzt. Ein proaktives Herangehen und Hinterfragen der eigenen anwaltlichen Tätigkeit im Hinblick auf mögliche Nutzungsszenarien von Computerprogrammen finden deshalb bisher leider nur sehr selten statt.

Häufig wird erst dann die Implementierung von Applikationen bei der Mandatsbearbeitung untersucht, wenn dies seitens der Mandantschaft gefordert wird. Der Aspekt, dass die Verwendung von geeigneten Programmen die eigene Arbeit erleichtert, beschleunigt und verbessert und dadurch mehr Zeit für echte juristische Tätigkeit bleibt, wird bislang nur selten erkannt.

Nico Kuhlmann: Was haben die Tätigkeit als Jurist und die Entwicklung von Software gemeinsam? Ist beides vergleichbar oder sind die dahinterstehenden Konzepte völlig verschieden?

Simon Ahammer: Ich habe im Rahmen der Umsetzung von neuen Programmen immer wieder festgestellt, dass viele Fähigkeiten, die während der juristischen Ausbildung beigebracht werden, insbesondere die Gewichtung von Sachverhalten sowie das strukturierte Herangehen zur Lösung von Problemen enorm hilfreich bei der Entwicklung der Applikationen waren. Die Tätigkeit eines Softwareentwicklers und eines Rechtsanwalts – abgesehen von den technischen Aspekten – unterscheidet sich daher nicht so gravierend, wie viele der Ansicht sind.

Nico Kuhlmann: Wie wird sich Deiner Meinung nach die Struktur von Kanzleien und Rechtsabteilungen durch Legal Tech verändern? Werden jetzt neben Juristen auch vermehrt Softwareentwickler eingestellt?

Simon Ahammer: Ich bin überzeugt, dass sich die Strukturen der Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien infolge der technologischen Entwicklung stark verändern werden. Zukünftig wird es weniger Volljuristen in diesem Organisationen geben, stattdessen werden vermehrt Personen mit juristischem Background und Wissen im Softwarebereich dort tätig sein. Diese müssen nicht zwangsläufig vollqualifizierte Softwareentwickler sein, vielmehr werden diejenigen gefragt sein, die über einen juristischen, betriebswirtschaftlichen und technischen Wissens-Mix verfügen.

Nico Kuhlmann: Es wird sehr viel über Legal Tech und Softwarelösungen im Recht diskutiert. Was ist Deiner Meinung nach gegenwärtig übertriebener Hype und was ist berechtigte Aufbruchsstimmung?

Simon Ahammer: Das Thema Legal Tech  wird verständlicherweise vor allem von den Veranstaltungsorganisatoren im Augenblick meiner Meinung nach schon ein wenig gehypt. Jedoch ist – wie bereits vor einigen Jahren in den USA – aufgrund der technischen Entwicklung auch hierzulande nun erkennbar, dass sich die anwaltlichen Tätigkeit durch den Einsatz von modernen Softwaretechnologien nicht nur in Randbereichen, sondern grundsätzlich verändern wird.

Nico Kuhlmann: Der Lehrplan an deutschen Universitäten gehört auf den Prüfstand. Darüber sind sich wohl alle einig. Aber müssen die Jura-Studierenden jetzt auch alle programmieren lernen?

Simon Ahammer: Ich denke, dass aufgrund der zukünftigen Beratungsfelder mit starken technischen Hintergrund, insbesondere was die Themen Smart Contracts und Blockchain betrifft, es für künftige Anwältinnen und Anwälte unabdingbar sein wird, sich mit der Thematik Softwareentwicklung auseinandersetzen. Ein tiefes Grundverständnis, wie Computer-Applikationen aufgebaut sind, wie Programmiersprachen funktionieren, welche Möglichkeiten – und auch welche Einschränkungen – es bei der Umsetzung von Softwarelösungen gibt, sollte daher auch zum Wissen von Jura-Studierenden gehören.

Nico Kuhlmann: Was würdest Du Studierenden und Jungjuristen darüber hinaus raten? Wie können sich diese auf ihre berufliche Zukunft im digitalen Holozän vorbereiten.  

Simon Ahammer: Viele Bereiche der anwaltlichen Tätigkeit, mit denen sich heute noch Geld verdienen lässt, beispielsweise die Mandate im Verkehrsrecht, Mietrecht und Individualarbeitsrecht, werden zukünftig aufgrund des technologischen Fortschritts nicht mehr geeignet sein, um als Rechtsanwalt, vor allem in kleineren Einheiten, über die Runden zu kommen. Gleichzeitig eröffnet die Technologisierung der Rechtsberatung auch neue Möglichkeiten der Berufsausübung. Ein Blick über den juristischen Tellerrand lohnt sich daher umso mehr.

Nico Kuhlmann: Lieber Simon, vielen Dank für das Interview. Weiterhin viel Erfolg für Deine Projekte.