5 Thesen zu Legal Tech in deutschen Rechtsabteilungen

by Dr. Michael Tal & Dr. Manuel Meder 

Wie deutsche Rechtsabteilungen sicherstellen können, die Digitalisierung nicht zu verpassen

1. Der Legal Tech-Hype

Der deutsche Legal Tech-Hype der letzten zwei Jahre ist bemerkenswert. Als wir 2013 anfingen, unsere Softwarelösung „BusyLamp“ zu vermarkten, konnten viele aus dem Kollegenkreis nicht nachvollziehen, dass wir hierfür gut bezahlte Jobs in Großkanzleien aufgegeben hatten. Heute hört man von ähnlichen Gründergeschichten des Öfteren. Anwälte schließen sich jungen Unternehmen an oder gründen selbst Startups im Legal Tech-Umfeld, um an der Änderung des Rechtsmarktes mitzuwirken. Es hat sich eine Community entwickelt, die sich gefühlt täglich auf Meetups, Messen, sonstigen Veranstaltungen trifft und ein Stück weit selbst zelebriert. Zum Teilnehmerkreis der durchweg gelungenen und informativen Events zählen aber nicht nur die Jungunternehmer selbst. Hier trifft man ebenso auf Kanzlei- und Unternehmensvertreter sowie Berater, die diese Organisationen auf dem Weg zur Digitalisierung fachkundig begleiten möchten. Keiner möchte den Trend verpassen und jeder mit Legal Tech in Verbindung gebracht werden. Das führt sogar dazu, dass der Begriff „Legal Tech“ von altgedienten Softwareanbietern, die ihr Produktportfolio innerhalb der letzten zehn Jahre nicht merklich weiterentwickelt haben, extrem weit ausgelegt wird, um nunmehr offiziell als Legal Tech Companies auftreten zu können.

Trotz aller Begeisterung scheint sich der Legal Tech-Hype hierzulande — von ein paar Ausnahmen abgesehen — noch nicht wirklich in Umsätzen niederzuschlagen. Zwar sind viele Anbieter tatsächlich noch jung und die ersten Schritte hin zum Umsatz in relevanter Höhe bekanntermaßen schwer, dennoch würde man meinen, dass der sprunghafte Anstieg der Aufmerksamkeit reflexartig auch dazu führt, dass bedeutend mehr Geld für Software ausgegeben wird. Woran liegt es also, dass der deutsche Legal Tech-Markt im Vergleich zu den USA und UK noch nicht richtig an Fahrt aufgenommen hat?

2. Die Realität deutscher Rechtsabteilungen

Um die Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf die Realität deutscher Rechtsabteilungen im Umgang mit Legal Tech. In Ländern, in denen sich Legal Tech zu einem echten Wachstumsmarkt entwickelt hat — allen voran die USA — fungieren Rechtsabteilungen als Innovationsmotor. Der Ausgangspunkt hierfür ist, dass dort Rechtsabteilungen erkannt haben, dass ihr more-with-less-Dilemma nur durch den Einsatz von mehr Legal Tech zu lösen ist und es hierfür zwei Lösungsansätze gibt: (1) Die Rechtsabteilung rüstet selbst technologisch auf, um in kürzerer Zeit mehr selbst zu schaffen und folgerichtig weniger Arbeit an vermeintlich teure Kanzleien vergeben zu müssen. (2) Die Rechtsabteilung gibt den Kostendruck an ihre Kanzleien weiter und motiviert diese durch ein entsprechendes Mandatierungsverhalten zu mehr Effizienz. Die Kanzleien begegnen dieser more-for-less-challenge sodann ihrerseits mit dem vermehrten Einsatz von Software. Innovation und Digitalisierung wird dort in erster Linie von Legal Operations Managern dirigiert. Es handelt sich dabei um eine Riege von Managern, die getreu dem häufig propagierten Motto Run Your Legal Departement Like a Business Unit, ein Hauptaugenmerk auf Projektmanagement, Kosten- und Prozessoptimierung sowie Digitalisierung haben.

In Deutschland verhalten sich Rechtsabteilungen — nach unserer Erfahrung — hingegen eher abwartend. Sie als Innovationsmotor zu bezeichnen, wäre in vielen Fällen (noch) eine Übertreibung. Man konzentriert sich beim Einsatz von Software auf das vermeintlich Unverzichtbare. Das typische IT-Setup, das man in Rechtsabteilungen antrifft ist: (i) MS Office inklusive Outlook, (ii) eine allseits bekannte juristische Fachdatenbank, (iii) ggf. ein (oftmals veraltetes) Dokumentenmanagement-System und in den letzten Jahren (iv) zunehmend die „elektronische Akte“ (neudeutsch: Matter Management). Darüber hinaus findet man nur vereinzelt Lösungen aus dem Legal Tech-Umfeld und häufig auch nur dort, wo aus gegebenen Anlass zum Beispiel an eDiscovery Software kein Weg mehr vorbei führt.

3. “Legal Tech-Taskforces” als richtiger Ansatz

Die meisten Rechtsabteilungen möchten den Status Quo jedoch verändern. Die breite Diskussion um Softwareanwendungen in der Juristerei ist nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen. Während viele andere Abteilungen im Unternehmen bereits beachtliche Fortschritte in Sachen Digitalisierung gemacht haben, stand die Rechtsabteilung diesem Veränderungsprozess meistens nur beratend zur Seite. Sie hat jedoch das eigene Geschäftsmodell (ja, man kann seit DuPont von Geschäftsmodell sprechen) nicht wirklich in Frage gestellt. Das soll sich nun ändern. General Counsel und andere Mitarbeiter der Rechtsabteilung treffen sich in Legal Tech-Zirkeln aller Couleur, um die Zukunft ihrer Zunft zu besprechen. Dabei kommen sie meist auf einen gemeinsamen Nenner: Es sollen Softwaretools angeschafft werden, um die tägliche Arbeit zu erleichtern und Kosten einzusparen. So weit so gut. Schwieriger wird es aber bereits beim nächsten Schritt: Wie soll man sich bei dieser Fülle an Angeboten verschiedenster Lösungen für das richtige Tool entscheiden?

Hierfür etabliert sich im deutschen Markt gerade ein Lösungsansatz. Man nominiert innerhalb der Rechtsabteilung eine Person (oftmals „Legal Innovation Officer“ genannt) oder gar eine Gruppe (z.B. eine „Legal Tech-Task Force“), deren Aufgabe es ist, den Markt zu erkunden und passende Lösungen ausfindig zu machen. Wir werden seit ca. zwölf Monaten immer wieder von diversen Akteuren angesprochen, die genau das tun und meist drei Dinge gemeinsam haben: (1) ernsthaftes Interesse und Affinität für digitale Lösungen, (2) spürbaren Veränderungswillen und last but not least (3) oftmals leider kein eigenes IT-Budget. Hier schließt sich nun der Kreis zu der Frage, warum die Schere zwischen dem Interesse an und dem tatsächlichen Einsatz von Legal Tech-Lösungen in Deutschland noch weit auseinander geht: Deutsche Rechtsabteilungen verfügen in aller Regel zwar über ein beachtliches Beraterbudget, jedoch über kein oder zumindest nur ein sehr überschaubares eigenes IT-Budget. Um die gewünschte Lösung dennoch zu bekommen, muss sich die Rechtsabteilung also erst einmal in die oftmals lange Warteschlange von IT-Interessenten im Konzern anstellen. Dieser Budgetierungsprozess ist alles andere als ein Selbstläufer. Um im konzerninternen Duell um IT-Budget insbesondere gegenüber den Kollegen aus den Business Units zu bestehen, muss die Rechtsabteilung gut vorbereitet ins Rennen gehen.

4. Kein Legal IT Budget ohne Business Case

Wie bereits erwähnt, sind wir seit 2013 mit unserer Legal Spend Management-Softwarelösung im deutschen Markt unterwegs. Seitdem haben wir hierzulande drei Phasen erlebt, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: (1) Das Produkt wurde zunächst nur vereinzelt angenommen, bis wir es gemeinsam mit unseren ersten Kunden (sog. Early Adopters) an die tatsächlichen Anforderung des Marktes angepasst hatten. (2) Anschließend mussten wir den breiten Markt von den Vorzügen unseres Produkts überzeugen und Vertrauen in unsere Unternehmung schaffen, was hierzulande weitestgehend nur durch die Nennung von Referenzkunden möglich ist. Diese haben wir primär im anglo-amerikanischen Raum gefunden, wo Rechtsabteilungen zum einen über ein eigenes IT-Budget verfügen und zum anderen neuen Softwareanbietern offener gegenüberstehen. (3) Nunmehr erleben wir auch hierzulande eine erhöhte Nachfrage von Seiten der Unternehmensjuristen und unterstützen diese dabei, sich im Konzern IT-Budget freizeichnen zu lassen.

Dass deutsche Rechtsabteilungen über kein eigenes IT-Budget verfügen und so gut wie keinen Zugang zu unternehmenseigenen IT-Ressourcen haben, trägt ihrer zentralen Stellung innerhalb des jeweiligen Unternehmens keine Rechnung und kann kein Dauerzustand bleiben. Legal braucht auch hierzulande ein eigenes IT-Budget. Unternehmen, die das nicht erkennen, verpassen die Digitalisierung eines zentralen Unternehmensteils und werden dies mittelfristig teuer bezahlen. Damit sind nicht nur die Kosten für externe Rechtsberatung angesprochen, sondern auch sonstige Kosten, die sich z.B. daraus ergeben, dass man regulatorische Anforderungen versäumt, weil man nicht die notwendigen Tools zum Monitoring eingeführt hat. GDPR sei hier nur als ein Beispiel genannt.

Es ist daher wichtig, dass Rechtsabteilungen den steinigen Weg der Budgetierung gehen und diese Themen notfalls immer wieder mit der Geschäftsleitung ausfechten. Dabei ist entscheidend, dass man für jede Forderung einen klaren Business Case im Gepäck hat. Denn schlussendlich überzeugen nur datenbasierte Argumente. Wie kalkuliere ich den ROI für das IT-System, das ich einführen möchte? Es gehört zur notwendigen Evolution und Emanzipation der Rechtsabteilung dazu, dass man in der Lage ist, in Budgetierungsfragen auf dem gleichen Niveau zu diskutieren, auf dem man eine Rechtsfrage gutachtlich löst. Hier kommt das sog. Legal Operations Management ins Spiel.

5. Professionelles Legal Operations Management – Notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zur digitalen Rechtsabteilung

Legal Operations Management hat sich in den angelsächsischen Ländern in den letzten Jahren als eigenständige Disziplin etabliert. Wie erwähnt, geht es dabei in erster Linie um Projektmanagement, Kosten- und Prozessoptimierung sowie die Auswahl und den Einsatz von Legal IT. Der General Counsel eines DAX-Konzerns hat uns vor ein paar Jahren am Ende eines Sales Pitches mit auf den (Heim-)weg gegeben, er sei Jurist und kein Controller. Wir hatten zuvor sog. Legal Analytics präsentiert, mit denen eine Rechtsabteilung u.a. die Effizienz ihrer Rechtsberater messen kann. Obwohl wir diese Aussage aus seiner Flughöhe im Kern nachvollziehen konnten, war sie aus unserer Sicht unvollständig. Im besten Unternehmensinteresse hätte sie nämlich lauten müssen: Ich bin Jurist und kein Controller. Das Controlling macht in unserer Rechtsabteilung Herr/Frau X, unser Legal Operations Manager.

Einige deutsche Rechtsabteilungen sind bereits so weit, dass sie einen COO Legal oder einen Legal Operations Manager nominiert haben. Wir finden, dass diese Rechtsabteilungen eine Vorbildfunktion einnehmen sollten. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie dient in erster Linie der Kosten- und Prozessoptimierung. Es sollte daher jemanden in der Rechtsabteilung geben, der die Kosten kennt, die Prozesse versteht und sicherstellt, dass die IT-Tools die man einkauft, diese Kosten und Prozesse auch tatsächlich optimieren können. Das ist in anderen Abteilungen teilweise schon längst gelebte Praxis. Ohne diesen Grad an Professionalisierung wird es für Rechtsabteilungen auch zukünftig schwer werden, ihr Interesse an Digitalisierung nachhaltig voranzutreiben und in die Tat umzusetzen. Wenn es jedoch gelingen sollte, wird auch hierzulande den Rechtsabteilungen die Rolle von Innovationsmotoren zukommen.