von Nico Kuhlmann
Das Bremer Unternehmen rightmart ist vermutlich die größte Kanzlei für Sozialrecht in Deutschland. Bei rightmart sind insgesamt 42 Mitarbeiter beschäftigt, wobei ungefähr gleich viele Juristen und Softwareentwickler angestellt sind. Das erst 2015 gegründete Unternehmen hat bereits mehr als 20.000 Verfahren für mehr als 12.000 Mandanten im Bereich des Sozial- und Verkehrsrechts abgewickelt. Dabei fokussiert sich rightmart zur Zeit hauptsächlich auf Hartz 4-Bescheide und Bußgeldbescheide.
Marco Klock ist der CEO von rightmart. Er hat zuvor Rechtswissenschaften in Bremen studiert und ist zudem auch der CEO von edicted, einem Anbieter für Legal Outsourcing. Im aktuellen Standardwerk “Legal Tech – Die Digitalisierung des Rechtsmarkts” hat Marco Klock ein Kapitel über “Legal Tech – Das digitale Mindset” geschrieben.
Nico Kuhlmann: Lieber Marco, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst. Aus der Sicht des Kunden: Was bietet Ihr bei rightmart an?
Marco Klock: Zur Zeit bietet rightmart die Überprüfung von Hartz 4-Bescheiden über unser Vehikel hartz4widerspruch.de und die Überprüfung von Bußgeldbescheiden beziehungsweise Ordnungswidrigkeiten aus dem Verkehrsrecht in Kooperation mit Rechtsschutzversicherern an. Wir haben uns die letzten zwei Jahre bewusst auf diese Produkte fokussiert um anhand der hohen Anzahl gleichgelagerter Fälle die Infrastruktur unserer Datenbank und Software zu entwickeln.
Nico Kuhlmann: Was berechnet Ihr den Mandanten für Eure Dienstleistung und wie viel Gewinn macht Ihr im Schnitt mit einem Mandat?
Marco Klock: Die Geschäftsmodelle sind unterschiedlich. Zur Zeit erbringt die Kanzlei die Dienstleistung im Sozialrecht kostenlos, solange der Hartz 4-Empfänger die Voraussetzungen für Beratungshilfe erfüllt. Dies ist in der Regel der Fall, so dass für den Mandant dann auch kein Kostenrisiko besteht. Sollte also der Fall eintreten, dass der Widerspruch für den Mandanten nicht erfolgreich ist, greift die Beratungshilfe.
Im Verkehrsrecht arbeiten wir zur Zeit ausschließlich über die Rechtsschutzversicherung, für die wir aufgrund unserer guten Konditionen durch den Einsatz von Software willkommene Kooperationspartner sind. Wir werden deshalb gerne als Kanzlei empfohlen.
Zum Gewinn äußern wir uns nicht, aber mittlerweile sind wir technologisch so gut aufgestellt, dass die Marge gerade bei umsatzschwachen Verbraucherrechtsmandaten im Branchenvergleich ganz ordentlich sein sollte.
Nico Kuhlmann: Mit welchen Werbemaßnahmen macht Ihr auf Euch aufmerksam? Konzentriert Ihr Euch auf Marketing im Internet oder bespielt Ihr auch andere Kanäle?
Marco Klock: Von TV- über Plakatwerbung bis hin zu offensiven Offline-Kampagnen haben wir schon fast alles gemacht. Wir sind aber in der Tat hauptsächlich online unterwegs und haben mit hartz4widerspruch.de mittlerweile auch organisch eine ganz gute Reichweite.
Für uns gehört das Marketing zu einer unserer Kernkompetenzen, dennoch ist es wichtig, dass die Kanäle performant sind. Anders als wagniskapital-finanzierte Startups, welches wir leider nicht sind, muss bei uns beim “Erstkauf” eine Marge übrigbleiben. Insofern sind wir langweiliger als wir vermutlich wirken.
Nico Kuhlmann: Ihr legt großen Wert auf das Workflow-Management. Wie genau ist der Ablauf vom Erstkontakt bis gegebenenfalls zum Widerspruch gegen einen Bescheid? Und welche Rolle spielt der Anwalt bei der Bearbeitung?
Marco Klock: Der Kern von rightmart ist unsere eigene Software, die genauso heißt wie das Unternehmen: rightmart. Diese stellt ein Workflow-Management-System dar, welches alle Daten aggregiert und alle Prozesse innerhalb der Kanzlei steuert, analysiert und anstößt. Dazu gehört auch, dass große Teile der Bearbeitung automatisiert sind und die Rechtsanwälte dann konsultiert werden, wenn es notwendig ist – bei rechtlichen Entscheidungen.
Der Mandant bekommt davon nichts mit, bis auf die Tatsache, dass jeder bei uns im Support direkt Infos zum Mandat geben kann. Weil alles in Echtzeit live synchronisiert ist, weiß immer jeder mit entsprechenden Zugriffsrechten, was im Mandat geschieht. Auch die Fragen, die dem Mandanten zum Sachverhalt gestellt werden, werden durch das System vorgegeben – dennoch erfährt der Mandant mindestens dieselbe Tiefe wie bei einer Erstberatung innerhalb einer normalen Kanzlei.
Zur deiner Frage zurück: Bestenfalls registriert der Mandant sich auf einer unserer Websites, vervollständigt dort direkt am Handy seine Unterlagen und beantwortet alle vom System notwendig erachteten Fragen zum Bescheid. Innerhalb von zirka 24 Stunden bekommt der Mandant dann einen Prüfbericht und gegebenenfalls den Entwurf eines individuellen Widerspruchs.
Nico Kuhlmann: Was passiert, wenn es zu einem gerichtlichen Verfahren kommt? Wer übernimmt dann die Gerichtstermine?
Marco Klock: Es ist selbstverständlich, dass die Kanzlei durch alle Instanzen geht. Aufgrund der hohen Fallzahl haben wir auch einige interessante Verfahren, welche durchaus die sozialrechtliche Rechtsprechung der nächsten Jahre prägen könnten. Will sagen: Wir gehen rechtlich an vielen Stellen in den deep dive, um diese Erkenntnisse dann im System implementieren zu können.
Je nach Verfahrenstiefe senden wir entweder einen unserer Rechtsanwälte oder einen unterbevollmächtigten Terminsvertreter, den wir über unsere eigene Outsourcing-Plattform edicted finden. Dort haben wir mittlerweile ein großes Netzwerk an Terminsvertretern.
Nico Kuhlmann: Wie funktioniert das Wissensmanagement bei Euch im Unternehmen? Und inwieweit unterscheidet sich dies von anderen Kanzleien?
Marco Klock: Vereinfacht gesagt, wird das Wissen bei uns zentral gemanaged. Dies geschieht in einem iterativen Prozess, der Rechtsanwälten, Prozess- und Datenbankarchitekten und auch die Produktverantwortlichen involviert.
Sobald wir also auf eine Fallkonstellation stoßen, die das System nicht durch vorhandene Datenpunkte erkennt oder die so individuell ist, dass kaum Analogien zu anderen Konstellationen existieren, analysieren wir diesen Fall und verbessern das System. In der Regel besteht diese Verbesserung dann in einer Erweiterung der Datenstruktur, der Datenbank und einem Update der Software, welches wir mittlerweile im operativen Betrieb in Echtzeit aufspielen können. So befindet sich das gesamte Wissen immer innerhalb der Software und wird strukturell weiter gedacht.
Für jeden Mitarbeiter besteht aufgrund dieses engmaschigen Korsetts geringerer Schulungsaufwand und für den Mandanten natürlich eine höhere Qualität unabhängig von einzelnen Rechtsanwälten.
Nico Kuhlmann: Seit geraumer Zeit wird viel über Künstliche Intelligenz im Recht diskutiert. Was verstehst Du unter AI und verwendet Ihr entsprechende Ansätze bei Euch?
Marco Klock: Es wird auf jeder Veranstaltung mit vielen Buzzwords für die Technologisierung des Rechts geworben. Das Thema AI steht insgesamt unabhängig von Legal Tech am Anfang. Die Grundlage dafür sind natürlich erstmal – bestenfalls strukturierte – Daten. Wenn man nun betrachtet, wie viele das Wort AI in den Mund nehmen und wie wenige Leute überhaupt Zugang zu großen Datenmengen haben, wirkt das schon befremdlich.
Aber natürlich ist AI für uns ein Thema und wir haben nun zwei Jahre an der Struktur der Datenbank gearbeitet, um zukünftig für das Thema gewappnet zu sein. Ich denke, dass die ersten Ansätze dann in Teilbereichen stattfinden werden, wie etwa die optimale Höhe der Rechnung zu bestimmen und zwar abhängig von verschiedenen Datenpunkten.
Nach diesem Muster werden dann die Legal Tech-Unternehmen Stück für Stück das Thema AI erarbeiten, bis man in ein paar Jahren diese Bausteine zusammengesetzt hat und von einer Art AI sprechen kann, die heute bereits häufig suggeriert wird. Es wird auf jeden Fall spannend.
Nico Kuhlmann: Welche Produkte könnte man mit Eurem Konzept noch bauen? Und gibt es bereits konkrete Pläne solche Ideen umzusetzen, um weiter zu wachsen?
Marco Klock: Wir werden im aller Voraussicht nach im Laufe des Jahres große technologische Fortschritte machen, welche auch das Ausrollen neuer Produkte erheblich erleichtern wird. Denkbar sind für uns letztlich alle Verbraucherrechtsthemen, da wir auch bereit sind nicht standardisierbare Rechtsberatung unter der Marke rightmart als Kanzlei anzubieten. Nichts desto trotz werden wir unseren Fokus auf Produkte richten für die wir einen Akquisitionsansatz haben und für die es einen großen und standardisierbaren Markt gibt. Ob das nun im Arbeitsrecht, Familienrecht, Mietrecht oder in einem anderen Rechtsgebiet ist, kann ich noch nicht sagen.
Nico Kuhlmann: Wo siehst Du Euch in 10 oder 15 Jahren? Was ist Eure Vision? Und wie wird der sonstige Rechtsmarkt dann in Deutschland aussehen?
Marco Klock: Das ist eine extrem lange Zeitspanne, wenn man bedenkt, dass das iPhone auch noch nicht viel länger als 10 Jahre etabliert ist.
Unser Ziel ist ganz klar, die Top 1 Marke für Verbraucherrecht zu werden. Natürlich ist das ein langer Weg, aber der führt über ein breiteres Produktportfolio, so dass wir irgendwann sehr offensiv an diesen Themen arbeiten werden. Ich denke, dass es am Rechtsmarkt für Verbraucher eine Marke geben wird, die Ihren Mandanten den Zugang zum Recht sehr komfortabel und günstig ermöglicht. Und ich denke, dass diese Marke in Deutschland rightmart sein kann. Es wird auf jeden Fall ein vertikal integriertes Modell sein, welches diesen Platz einnimmt und vermutlich kein Marktplatz.
Durch die Weiterentwicklung von Technologien wird das Rechtssystem allgemein auf die Probe gestellt, sich neu zu erfinden. Ich denke, dass all die Buzzword-Themen von heute dann wirklich relevant sind und die Art und Weise der Rechtsdurchsetzung eine andere sein wird. Mindestens aber wird die Arbeit des Rechtsanwalts bis dahin neu definiert sein.
Nico Kuhlmann: Ihr geht diesbezüglich mit gutem Beispiel voran und bildet im Rahmen des Referendariats aus. In welcher Station kann man zu Euch kommen und was bietet Ihr an?
Marco Klock: Das ist korrekt. Wir ermöglichen bereits heute vielen Referendaren bei uns einen interessanten Referendarsplatz mit mehreren Stationen innerhalb von rightmart. Man kann das Referendariat bei uns sowohl als Anwalts- als auch als Wahlstation absolvieren, wir sind da sehr flexibel.
In diesem Rahmen bieten wir neben der überdurchschnittlichen Vergütung den Einblick in alle Abteilungen beginnend bei der Kommunikationszentrale gefolgt von der außergerichtlichen und gerichtlichen Sachbearbeitung. In jeder Station erhält man einen detaillierten Einblick in Legal Tech-Prozesse, da es bei uns keinen Prozess gibt, der außerhalb unserer Software stattfindet.
Nico Kuhlmann: Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sind in Zukunft Deiner Meinung nach notwendig, um auf dem Rechtsmarkt nicht nur zu bestehen, sondern auch erfolgreich zu sein?
Marco Klock: Um als Rechtsanwalt erfolgreich zu sein, benötigt man heute ein anderes Mindset. Dazu gehört offen für Technologie, Prozesse und Struktur zu sein. Es hilft gerade als Berufseinsteiger sich mit den Themen im Legal Tech zu beschäftigen, um diese neue Denkweise zu manifestieren.
Um in der Welt der Großkanzleien zu bestehen, reicht es neben den herausragenden juristischen Fähigkeiten in dieser Weise aufgeschlossen zu sein. Bezogen auf den Rechtsmarkt für Verbraucher und die Kanzleien und Rechtsanwälte, die dort ihr Geld verdienen, verändern sich die Anforderungen an die Fähigkeiten viel extremer: Ohne unternehmerischen Ansatz wird man als Rechtsanwalt zukünftig keine Chance gegen die Legal Tech-Player haben. Um in diesem Markt zu bestehen, muss man entweder bereits ein sehr guten Mandantenstamm in einer Nische haben oder sich konkrete Gedanken über seinen Fokus und sein Angebot für den Markt machen. Liegt einem das Unternehmertum nicht in den Genen, würde ich zu einem der Legal Tech-Player gehen.
Sich mit einem altmodischen Ansatz als Generalist selbstständig zu machen, wird schon heute sehr teuer enden.
Nico Kuhlmann: Lieber Marco, vielen herzlichen Dank für das Interview. Weiterhin viel Erfolg für Deine Projekte und lieben Gruß an Dein Team.