Hamburg Legal Tech Meetup / #hltm4 / The US-Perspective

von Nico Kuhlmann

Am 5. Oktober fand das vierte Hamburg Legal Tech Meetup bei Hogan Lovells mit zirka 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus verschiedenen Kanzleien, Unternehmen und Universitäten zum Thema Legal Tech in Deutschland und in den USA statt.

Einführung

Nach einer herzlichen Begrüßung durch Yvonne Draheim, Partnerin bei Hogan Lovells im Bereich IPMT in Hamburg, hat wie gewohnt Nico Kuhlmann durch den Abend geführt. Zu Beginn legte er den Hashtag des Abends für Twitter fest (#hltm4), fasste die Themen des ersten, zweiten und dritten Meetups kurz zusammen und gab einen Rückblick über die Ereignisse der letzten Monate in der Legal Tech-Szene in Deutschland und in der Welt. Dabei ging er auf Veranstaltungen wie den Anwaltszukunftskongress (Düsseldorf) und die akademischen Tagung Zugang zum Recht durch Legal Tech? (Universität Mannheim) sowie auch auf die Swiss Legal Tech (Zürich) ein. In Bezug auf die Startup-Welt berichtete er von Abfindungsheld.de, die nicht nur innerhalb von kürzester Zeit mehrere Millionen Euro an Kapital einwerben konnten, sondern auch im Gegensatz zu vielen anderen Startups in der Szene nicht von einem Jungspund in einem Hoodie, sondern von einem Partner einer etablierten Wirtschaftskanzlei gegründet wurde. Darüber hinaus stellte er die Prime Rechtsanwalts GmbH vor, die in Deutschland die ersten aus der Rechtsbranche sind, die mit IBM Watson kooperieren. Schließlich referierte er noch kurz zum im Silicon Valley neu gegründeten Doppelunternehmen Atrium. Dabei handelt es sich einerseits um eine Kanzlei (Atrium LLP) und andererseits um ein Technologieunternehmen (Atrium LTS), welches für die Kanzlei ständig neue digitale Tools für sämtliche Bereiche entwickeln und testen soll.

Markus Hartung (Bucerius Center on the Legal Profession):
Legal Tech in Germany – Status Quo and Future Developments

Anschließend gab Markus Hartung zur Einführung eine inspirierende Keynote zum aktuellen Stand von Legal Tech in Deutschland. Zuerst stellte er fest, dass es sich bei der gegenwärtigen Euphorie teilweise um einen Hype handele. Es werde seiner Meinung nach noch Jahre oder eher Jahrzehnte dauern, bis Software auch nur ungefähr das leisten könne, was Juristen heute den ganzen Tag täten. Die menschliche Sprache sei einfach viel zu komplex. Bis dahin gehe es bei vielen Anwendungen nur um die Erkennung von Mustern. Aber genau darin seien Computer tatsächlich auch schon sehr gut geworden, und diese Fähigkeit lasse sich für eine Vielzahl von Anwendungsbereichen im Recht gewinnbringend einsetzen. Die dahinterstehenden Algorithmen seien diesbezüglich auch bereits seit langer Zeit bekannt und erforscht. Der Grund dafür, dass diese Anwendungen erst jetzt substanzielle Ergebnisse erzielten, liege vielmehr in der Tatsache, dass mittlerweile viel mehr Daten und viel mehr Rechenleistung zur Verfügung stünden.

Der Annahme, dass Legal Tech disruptiv sei, trat Markus Hartung in dieser Pauschalität entgegen. Dies sei bisher durch keine Studie auch nur im Ansatz belegt worden. Vielmehr handele es sich diesbezüglich größtenteils um eine durch Emotionen geleitete Fehlvorstellung. Trotzdem seien die Auswirkungen von Legal Tech nicht zu unterschätzen, da durch den sinnvollen Einsatz von Technologie sowohl bei Privatpersonen als auch bei Wirtschaftsunternehmen unbefriedigte Bedürfnisse bedient werden könnten. Der Bürger habe in vielen Fällen einen schlechten Zugang zu seinem Recht, da Anwälte sich oft wegen der geringen finanziellen Bedeutung weigerten, bestimmte Mandate zu übernehmen. Dies führe zu einer nachvollziehbaren Frustration und, gepaart mit einer Erwartungshaltung an moderne Dienstleistungen, dazu, dass immer mehr Bürger Hilfe bei Online-Diensten und anderen alternativen Rechtsdienstleistern suchten. Aber auch die Rechtsabteilungen von Unternehmen seien frustriert. Kanzleien würden die wachsenden Erfahrungen immer nur dadurch zu erfüllen versuchen, dass noch mehr Stunden manuell abgearbeitet werden, anstatt ihre Prozesse an geeigneten Stellen zu automatisieren. Zudem sei die Arbeitsweise immer noch zu intransparent sowie die Kosten viel zu hoch und vor allem unvorhersehbar. Dies führe dazu, dass sich immer mehr Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen neue Dienstleister für ihre Bedürfnisse suchten. Dies trage im Ergebnis dazu bei, dass Juristen doch zu Recht nervös werden.

Abschließend wies Markus Hartung darauf hin, dass es ein Leben für Anwälte nach dem Hype um Legal Tech geben werde. Der Hype werde auch wieder abflachen, aber die Technologie werde bleiben. Dann komme es nach seiner Ansicht für den Erfolg auf ein konsequentes Kanzleimanagement und eine operative Exzellenz unter Verwendung geeigneter Technologie an.

Mark A. Cohen (Legal Mosaic, LLC):
Legal Tech – The US-Perspective

Danach sollte Mark A. Cohen eigentlich vor Ort über seine Erfahrungen aus den USA berichten. Leider verhinderten starke Winde, dass er in Hamburg landen konnte, und sein Flugzeug musste nach Brüssel umgeleitet werden. Davon ließ er sich aber nicht von seinem Vorhaben abbringen, sondern er wählte sich spontan aus seinem Hotelzimmer via Videokonferenz nach Hamburg ein, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmer seine Sichtweise näher bringen zu können.

Mark A. Cohen ist ein globaler Vordenker in der Rechtsbranche. Er ist ein ehemaliger Staatsanwalt der Vereinigten Staaten von Amerika und US-amerikanischer Zivilrechtsanwalt für Prozessrecht. Diesbezüglich war er unter anderem der jüngste Partner bei der Wirtschaftskanzlei Finley Kumble. Zudem war er bereits frühzeitig ein Nutzer und Anwender von Legal Tech und einer der Mitbegründer von Clearspire, einer Anwaltskanzlei mit völlig neuen digitalen Strukturen und Arbeitsansätzen. Mittlerweile ist er CEO und Gründer von Legal Mosaic, LLC. In dieser Position engagiert er sich als internationaler Redner und Schriftsteller für die Verbesserung von Rechtsdienstleistungen und der Juristenausbildung.

Nach der Ansicht von Mark A. Cohen verändere Legal Tech alles, und die Rechtsbranche werde die Auswirkungen immer mehr zu spüren bekommen. Die Rechtsindustrie sei weltweit seit langem als eine Art Gilde oder Zunft tätig gewesen. Kanzleien hätten die Bereitstellung von juristischen Dienstleistungen dominiert und dabei immer wieder ein und dasselbe verkauft: juristische Expertise. Das Praktizieren als Anwalt sei gleichbedeutend mit der Erbringung von Rechtsdienstleistungen gewesen. Wenn Unternehmen eine rechtliche Angelegenheit lösen mussten, sei eine Rechtsanwaltskanzlei beauftragt worden, welche die komplette Arbeit von Anfang bis Ende durchgeführt und danach eine Rechnung pauschal für “erbrachte Dienstleistungen” erstellt habe. Das sei überall für Jahrzehnte gleich gewesen.

Dies habe sich aber nun in den USA bereits grundlegend geändert. Die Technologie, die Globalisierung, die Komplexität des modernen multinationalen Geschäfts und die globale Finanzkrise von 2007/2008 haben nach der Ansicht von Mark A. Cohen die Art und Weise, wie Dienstleistungen gekauft und verkauft werden, völlig neu gestaltet. Diese Annahme würden Anwälte zwar bei anderen Märkten ohne Widerworte akzeptieren, aber immer noch zu oft die Augen davor verschließen, dass dies auch für juristische Dienstleistungen gelte.

Anwaltskanzleien seien nicht mehr die einzigen Anbieter von Rechtsdienstleistungen und – ohne es gemerkt zu haben – bereits jetzt nicht mehr die dominierenden Anbieter auf dem Rechtsmarkt. Vielmehr seien Rechtsabteilungen in Unternehmen bereits die weltweit größten Anbieter von Rechtsdienstleistungen. Zudem sei eine wachsende Zahl von alternativen Rechtsdienstleistern gerade dabei, zunehmend komplexere Arbeiten, die bisher ausschließlich von Rechtsanwaltskanzleien bearbeitet würden, zu übernehmen. Die Aufgaben für traditionell praktizierende Rechtsanwälte – die Vertretung vor den Gerichten, die strategischen Elemente von großen Geschäftsabschlüssen und andere Aufgaben, die differenzierte juristische Fachkenntnisse und Kompetenzen erforderten – würden auf der einen Seite immer weniger werden. Auf der anderen Seite vergrößere sich der sonstige Markt für die Gesamtheit der Rechtsdienstleistungen aller Art erheblich.

Der Rechtsmarkt habe sich somit gespalten und bestehe nun aus dem “Praktizieren” von Recht und der Erbringung von Rechtsdienstleistungen. Dies wirft nach der Ansicht von Mark A. Cohen grundlegende Fragen nach der besten Arbeitsteilung auf und danach, welche Anbieter mit welchen Ressourcen am besten für welche Jobs beauftragt werden sollten. Auf diesem modernen Rechtsmarkt gehe es nicht mehr nur noch um Juristen. Programmierer,  Projektmanager und diejenigen, die bereit seien, den Wandel anzuführen, seien längst wichtiger Teil der Wertschöpfungskette.

Auf diese Lebenswirklichkeit würden die Jura-Studierenden aber nur sehr schlecht bis gar nicht vorbereitet. Studierende, die nur Entscheidungen des Gerichts zitieren können, aber nicht wüssten, welchen Mehrwert sie den Mandanten anbieten können, würden sehr bald ein großes und existentielles Problem bekommen. Die rechtswissenschaftlichen Fakultäten stünden somit vor der Herkulesaufgabe, die Lücke zwischen dem bestehenden Lehrplan und den Fähigkeiten, die der Markt im 21. Jahrhundert benötigt, zu schließen oder zumindest zu verringern.


Zu vielen dieser Aspekte hat Mark A. Cohen bereits entsprechende Beiträge auf seinem Blog veröffentlicht. Nachfolgend für die vertiefende Beschäftigung mit dem Thema eine kleine Auswahl:

Ausblick

Zum Abschluss gab Nico Kuhlmann noch einen Ausblick auf die anstehenden Termine im Rest des Jahres:

Zudem informierte er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorab darüber, dass das nächste Meetup am 22. Februar 2018 bei Google in Hamburg stattfinden wird. Thematisch wird es beim fünften Hamburg Legal Tech Meetup um die Machine-Learning-API von Google, die Arbeitsweise einer digitalen Rechtsabteilung und die zukünftige Zusammenarbeit von Syndikusanwälten und Kanzleianwälten gehen.

Schließlich stellte er die beiden Bücher “Legal Tech: Die Digitalisierung des Rechtsmarkts” und “Machine, Platform, Crowd: Harnessing Our Digital Future” vor und forderte die Interessierten auf, sich gerne unter Meetup.com in der Gruppe Hamburg Legal Tech Meetup einzutragen, um in Bezug auf die nächsten Meetups auf dem Laufenden zu  bleiben.