Legal Tech im Jurastudium – Interview mit PD Dr. Martin Fries

von Nico Kuhlmann

Die Digitalisierung hat grundlegende Auswirkungen auf den Rechtsmarkt und die Rechtsordnung. Auf diese Veränderungen müssen auch die Universitäten reagieren, um die Studierenden auf die Herausforderungen der nahen Zukunft vorzubereiten.

Martin Fries ist einer der Vordenker in Bezug auf die Digitalisierung des Rechts in Deutschland. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist Legal Tech aus rechtstheoretischer Perspektive und er veranstaltete mit einem Seminar zur Rechtsfindung in der digitalen Welt an der Universität Münster und einem Grundlagenseminar zum Bürgerlichen Recht und Digitalisierung an der LMU München bereits mehrere diesbezügliche Veranstaltungen für Studierende. Zusätzlich veröffentlichte er Aufsätze zu den Themen „PayPal Law and Legal Tech: Was macht die Digitalisierung mit dem Privatrecht?“ (NJW 2016, 2860 ff.) und „Man versus Machine: Using Legal Tech to Optimize the Rule of Law“ (SSRN).

Nico Kuhlmann: Lieber Herr Fries, welche Auswirkungen wird die Digitalisierung ihrer Meinung nach mittelfristig auf den Rechtsmarkt und vielleicht sogar auf die Rechtsordnung haben? Wo sehen Sie die größten Veränderungen auf uns zukommen?

Martin Fries: Gute Frage! Ich vermute, dass sich der Rechtsmarkt in ähnlicher Weise wandeln wird, wie wir dies schon in anderen Branchen gesehen haben. Zuerst geht es stets um die Automatisierung der gleichförmigen, immer wiederkehrenden Arbeitsschritte. Die materiell-rechtlich sehr weit pauschalisierten Fluggastrechte haben den Anfang gemacht. Jetzt gerade beschäftigen sich Startups mit der Durchsetzung der Mietpreisbremse und dem Widerruf von Lebensversicherungen. Als nächstes sind vielleicht die erbrechtlichen Pflichtteilsansprüche an der Reihe. Hier kann eine gut programmierte Software bei der Abfrage des Sachverhalts und der juristischen Vorprüfung sicherlich wertvolle Dienste leisten.

Man mag das als Gefahr für die traditionelle anwaltliche Arbeit begreifen. Man kann darin aber auch eine Chance sehen, denn Anwälte dürften sich und ihre Mandanten mit digitaler Hilfe künftig besser gegen Beratungsfehler absichern können. Das größte Interesse an diesem Fortschritt haben übrigens die Rechtsschutzversicherer. Die lassen nämlich viele und teure Federn infolge anwaltlicher Fehleinschätzung von Prozessrisiken. Wenn ich eine Rechtsschutzversicherung wäre, würde ich das digitale Potenzial nutzen, um hier klarer zu sehen.

Nico Kuhlmann: Entwicklungen aus anderen Ländern werden oft mit dem Argument begegnet, dass diese aufgrund der Besonderheiten und vor allem der Kodifizierung des Rechts in Deutschland nicht übertragbar seien. Was halten Sie von dieser Argumentation?

Martin Fries: Andere Länder, andere Sitten. Es gibt sicher manche und gute Gründe, weswegen das deutsche Rechtswesen technologischen Innovationen eher abwartend gegenübersteht. Ob die Kodifizierung dazu gehört, wage ich zu bezweifeln. Zum einen gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern einschließlich der common-law-Jurisdiktionen reichlich kodifiziertes Recht. Zum anderen ist auch Gesetzesrecht zumindest dann für eine Automatisierung zugänglich, wenn der Automat von einem Menschen bedient wird.

Es spricht vielleicht sogar einiges dafür, dass Deutschland im Bereich Legal Tech eine Vorreiterrolle einnehmen könnte: Es gibt hier inzwischen eine lebendige Startup-Szene, der Rechtsmarkt hat eine für Investoren nicht uninteressante Größe, vor allem aber sollte man den Druck der Nachfrage nicht unterschätzen. Die meisten Mandanten – seien es Verbraucher oder große Unternehmen – suchen kompetente Rechtsberatung zum niedrigsten notwendigen Preis. Wenn Technologien dem Anwalt die Arbeit erleichtern können, ohne dass die Beratungsqualität darunter leidet, werden sie sich durchsetzen und der Preis für Rechtsdienstleistungen wird sinken. Womöglich verbessert sich dadurch sogar der Zugang zum Recht.

Nico Kuhlmann: Universitäten sollen Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten vermitteln, auf das 1. Staatsexamen vorbereiten und auch noch praxisrelevante Fähigkeiten vermitteln. Mit welchen Lehrveranstaltungen für Studierende sollten die Universitäten auf die Digitalisierung reagieren?

Martin Fries: Der These, dass die Digitalisierung auch in der Juristenausbildung Berücksichtigung finden sollte, stimme ich im Grundsatz nachdrücklich zu. Gleichzeitig bin ich tatsächlich der Auffassung, dass das Jurastudium eine Rückbesinnung auf das Wesentliche verdient. Das heißt konkret: Abschaffung des Schwerpunktstudiums und eine gründlichere Ausbildung in den Grundlagen. Wenn jede zweite Examensklausur erhebliche systematische Missverständnisse zeigt, sollte man die Universitätsausbildung nach meinem Dafürhalten nicht weiter in die Breite ziehen, sondern eher in der Tiefe verdichten. Also mehr BGB, mehr Prozessrecht und mehr IPR, dafür aber weniger M&A und weniger studentische Rechtsberatung.

Diese eher praxisorientierte Materie würde ich ins Referendariat schieben, denn das ist der Praxisteil der Juristenausbildung. Auch den Umgang mit digitalen Helferlein sehe ich eher im Referendariat; dort ist eine Beschäftigung mit Legal Tech dann allerdings auch wirklich dringend notwendig. Wer nicht so lange warten will, mag sich schon im Studium für diese Themen sensibilisieren. Ich würde das aber zeitlich nicht ausufern lassen und auf Blockseminare oder Abendveranstaltungen beschränken.

Nico Kuhlmann: Neben den universitären Veranstaltungen bereiten sich Studierende auch eigeninitiativ auf das Berufsleben vor. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollten sich Studierende zusätzlich zur klassischen juristischen Methodenlehre aneignen?

Martin Fries: Wenn man sich in seiner Kernarbeitszeit auf die juristischen Grundlagen konzentriert, bleibt ja für zusätzliche Themen nur die Freizeit. Und da, denke ich, sollte die Weiterbildung vor allem Freude machen. Das mag also jeder nach seinen Neigungen und Interessen individuell entscheiden. Für juristische Berufe nützlich sind sicherlich rhetorische Fähigkeiten und Verhandlungsgeschick. Aber auch ein Grundkurs in unternehmerischem Denken kann bestimmt nicht schaden. Denn die meisten Juristen werden letztlich doch Anwälte und damit nicht nur Organe der Rechtspflege, sondern eben auch Unternehmer. An diesen Gedanken gewöhnt man sich besser nicht zu spät.

Nico Kuhlmann: Lieber Herr Fries, vielen herzlichen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg für Ihre vielseitigen Projekte.