Legal Tech und deutsche Juristenausbildung: High Speed, Low Speed, No Speed

von Dr. Hariolf Wenzler

Wenn man die juristische Welt nach Veränderungsdynamik aufteilen würde, dann wäre die Welt der großen Kanzleien High Speed: Kostendruck von Mandanten in einer immer komplexer werdenden Welt, wachsender Einsatz von Technologie auf allen Ebenen vom Office Management über Collaboration Software bis hin zu genuin rechtlichen Tools. Der „Produktionsprozess” (wirtschafts-)rechtlicher Beratung verändert sich dadurch grundlegend und mit großer Geschwindigkeit.

Das, was sich an juristischen Hochschulen verändert, geschieht mit Low Speed. Erste Schritte in der Online Education sind die Aufzeichnung von Vorlesungen, digitale Karteikarten, Wikis und natürlich Beck Online als die Mutter aller Datenbanken. Das ist noch weit entfernt vom intelligenten Umgang mit Daten, Learning Analytics und individualisierten Stunden- und Lehrplänen, aber immerhin.

Die Anpassungsgeschwindigkeit des Staatsexamens an die sich verändernde Welt fällt in die Kategorie No Speed. Dabei meine ich nicht die Inhalte, auch wenn hier die bahnbrechendste Veränderung der vergangenen zehn Jahre war, dass die Beleidigung nun nicht mehr zum Prüfungsgegenständekatalog zählt. Rein technisch handelt es sich um die Aufgabe, innerhalb von zwei Wochen sechs Klausuren mit der Hand am Arm auf Papier zu schreiben, selbstverständlich ohne andere Hilfsmittel als den (gedruckten) Gesetzestext. Für eine Hochschule bedeutet das, einer Generation von technisch versierten, mit Smartphone, Tablet und Notebook aufgewachsenen Studierenden das Schreiben mit der Hand wieder beizubringen – um sie nach dem Staatsexamen in eine Berufswelt zu entlassen, die sich mit hoher Geschwindigkeit technologisch verändert und alle möglichen Fertigkeiten erwartet, nur diese nicht mehr.

Wie lange es wohl dauern wird, bis sich Fächer wie Introduction to Legal Technology, Coding for Lawyers, Data Analytics, Empirical Legal Studies auch im deutschen Curriculum etablieren? Die im vergangenen Herbst an der Bucerius Law School begonnene “Legal Technology Showcase Lecture” zeigt, dass es jedenfalls ein großes Interesse an diesem Thema gibt. So beschäftigen sich Jurastudierende in ihren Wahlfächern mit den juristischen Herausforderungen der Zukunft, während sie im Pflichtkanon das Umblättern von Schönfelderseiten einüben.

Bei einem Besuch im Hamburger Museum der Arbeit habe ich kürzlich gesehen, wie schön Bücher und Zeitungen früher im Bleisatzverfahren hergestellt wurden. Der Beruf des Setzers war handwerklich anspruchsvoll und hoch angesehen. Es gibt ihn heute nur noch im Museum…


Dr. Hariolf Wenzler ist Geschäftsführer der Bucerius Law School in Hamburg und Mitverfasser der Studie “How Legal Technology Will Change the Business of Law“.