Neue Münchner Denkfabrik zur digitalen Transformation des Rechtsbereichs

von Christina-Maria Leeb

Für den 15. Juni 2018 lud die Initiative Rechts- und Justizstandort Bayern zu ihrer zweiten Sitzung der „Denkfabrik Legal Tech“ in München ein, die sich als interdisziplinäre Diskussionsplattform versteht. Ziel ist ein ergebnisoffener und gegenseitig bereichernder Austausch über die effektive Nutzung der Chancen der Digitalisierung. Ebenso soll thematisiert werden, wie die digitale Transformation des Rechtsstandorts der Zukunft gemeinsam gestaltet werden kann.

In der ersten Sitzung Ende März 2018 wurden im Wesentlichen organisatorische und inhaltliche Grundlagen abgestimmt – etwa dahingehend, dass nicht die rechtliche, sondern primär die technische Machbarkeit den Hauptgegenstand der Impulsvorträge und Diskussionsrunden bilden soll.

Zu der zweiten Sitzung fanden sich erneut knapp 50 geladene Vertreterinnen und Vertreter aus der Richterschaft, der Wissenschaft, von Unternehmen, der Anwaltschaft und dem Notariat in das Bayerische Staatsministerium der Justiz in München ein, um gemeinsam über verschiedenste Aspekte der Digitalisierung im Rechtsbereich zu diskutieren. Im Zentrum stand ein Vortrag von Tina Schulz, Juristin, und Dr. Andreas Both, IT-Spezialist, beide tätig bei der DATEV eG, mit dem Titel „Ersetzt die Maschine den Juristen? Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf Rechtsprozesse“.

Schulz eröffnete ihren Vortragsteil mit allgemeinen Informationen zu Künstlicher Intelligenz – etwa dass die aktuelle Virulenz der Thematik im Wesentlichen von zwei besonders begünstigenden Faktoren abhänge: Einerseits der in den letzten Jahren quantitativ enorm gestiegenen Menge an Daten, andererseits an den exponentiell gewachsenen Rechenleistungen. Bezogen auf den Rechtsbereich könne Legal Tech als „Kraftquelle für juristische KI“ angesehen werden. Im Rechtsberatungsbereich entstünden durch die Verknüpfung der automatisierten Bearbeitung von massenhaft gleichgelagerten Verbraucheransprüchen, von Tools zur elektronischen Vertragserstellung sowie von Online-Rechtsberatungsportalen auf Festpreis-Basis mit KI „smarte Dienstleistungen“. Die zunehmende Digitalisierung im Gerichtssaal zeige ebenso die Anwendungsfelder in der Rechtsprechung.

Anschließend widmete sich Both einer Umfeldbetrachtung, wobei der Referent festhielt, dass Legal Tech Geschäftsmodelle optimieren, aber auch erst völlig neu erschließen könne. Hinzu komme, dass die inzwischen hohe Anzahl frei verfügbarer Open Source-Lösungen in technischer Hinsicht zu einer enormen Demokratisierung geführt habe, nachdem Technologie und Infrastruktur zunehmend für jedermann ohne nennenswerten Kostenaufwand verfügbar sei. Als KI-Schwerpunkt bei DATEV stünden in kurz- und mittelfristiger Hinsicht die Steigerung von Effizienz und Geschwindigkeit auf der Agenda; langfristig solle DATEV als „‘Extended Brain‘ des deutschen Mittelstandes“ fungieren. Both betonte ferner die besondere Wichtigkeit der Verfügbarkeit valider, annotierter Daten als Grundlage für deren breite Anwendung und mithin für die Etablierung KI-getriebener Prozesse. Mit Blick auf die Veränderungen durch KI skizzierte der Referent insbesondere die vielfältigen neuen Fragestellungen mit Daten-Fokus, welche im Fall eines gesellschaftlichen Konsenses weiteren Forschungsbedarf nach sich ziehen würden. Im Anschluss benannte Both fünf Thesen, die aus seiner Sicht die zukünftige Entwicklung im KI-Bereich maßgeblich beschreiben:

  1. Technologieverfügbarkeit sorgt für Demokratisierung von Chancen und Risiken.
  2. Verfügbarkeit von angereicherten bzw. annotierten Daten ist maßgeblich für den Erfolg von (deutschen) KMU.
  3. Bewertbarkeit von Verfahren muss gesteigert werden, um Nachvollziehbarkeit sicherzustellen.
  4. Nachhaltiges Vertrauen in KI-Technologien kann nur durch neutrale Instanzen etabliert werden.
  5. KI ersetzt manuelle Tätigkeiten in Rechtsprozessen nicht vollständig, erhöht aber auch die Chancen.

Die anschließende Diskussion unter den Teilnehmenden leitete die von einigen Seiten zu Recht geäußerte Feststellung ein, dass es sich bei den dargestellten Anwendungsbereichen ausschließlich um solche der Automatisierung gehandelt habe – von KI könne dabei jedoch sinnvollerweise noch nicht gesprochen werden. In Bezug auf DATEV könne allenfalls der konkrete Buchungssatz als konkreter Anwendungsfall für die Bildung neuronaler Netze mittels Technik dienen. Nach den Referenten sei jedoch wiederum auch zu beobachten, dass derzeit die Erwartungshaltung der Anwender an konkrete technische Entwicklungen häufig zu hoch angesiedelt sei; es herrsche ein „enormes Spannungsfeld zwischen dem, was derzeit schon funktioniert und was zukünftig möglich sein wird“.

Gefragt wurde außerdem in der Diskussion nach der Rolle des Staates im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen im Bereich Legal Tech. Solle dieser Automatisierungs- bzw. KI-Systeme selbst entwickeln und sodann für jedermann kostenfrei vorhalten lassen? Oder bedürfe es zumindest gesetzlicher Regulierung dahingehend, dass bestimmte weiterverarbeitete Daten bzw. Vorlagen jedermann zugänglich gemacht werden müssten?

Einen weiteren Diskussionsschwerpunkt bildete die Frage nach der Kontrollierbarkeit juristischer, zunehmend automatisierter Entscheidungsbereiche, insbesondere im Bereich von Justiz und Verwaltung. Während dies einerseits durch die Mitarbeit bereits bei der Konzeption sowie mittels ausführlicher Testläufe und damit der Überprüfung der Fachkonzepte sichergestellt werde, stelle die technische Architektur und dabei vor allem die Akquise entsprechend qualifizierten Technikpersonals die staatlichen Akteure mitunter vor erhebliche Herausforderungen. Das Verständnis der Prozesse ist essentiell für eine echte Überprüfbarkeit – dies verdeutlicht einmal mehr die unüberschätzbare Wichtigkeit der Vermittlung technischer (Grund-)Kompetenzen bereits im Rahmen der Juristenausbildung in Kombination mit der Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit mit IT-Spezialisten.

Gerade durch die Möglichkeit zur Vernetzung sowie auch kontroversen Diskussion über die Herausforderungen, Chancen und Entwicklungen neuer, digitalbasierter Technologien im Rechtsbereich leistet das neu geschaffene Forum einen wichtigen Beitrag zur gemeinsamen Gestaltung der digitalen Transformation des Rechtsbereichs. Inhaltlich ist das Forum explizit auf den Aspekt der technischen und nicht der rechtlichen Machbarkeit ausgerichtet. Gerade die wissenschaftliche Durchdringung der rechtlichen Seite steht derzeit erst am Anfang. Welche Auswirkungen hat etwa die Digitalisierung auf das Recht und den Zugang zum Recht? Birgt Legal Tech – neben den Chancen und Potenzialen – etwa zugleich die Gefahr einer Privatisierung und Kommerzialisierung?

Ende Juli 2018 wird die dritte Sitzung der „Denkfabrik Legal Tech“ stattfinden. Dort wird RA Martin Kurtze, Siemens AG, zum Thema „Vertragsanalyse und Vertragserstellung leicht(er) gemacht – wie der Computer unsere Arbeit effizienter gestaltet“ referieren. Weitere Sitzungen im monatlichen Turnus sind bereits in Planung. Im kommenden Jahr soll darüber hinaus eine größere Konferenz zur Thematik organisiert werden.