Anwaltliche und Tech-Beratung – ein Zukunftsmodell

Legal Tech wird den Anwaltsmarkt verändern, aber wem wird das nützen? Sicher ist, dass technologische Anwendungen Aufgaben übernehmen werden, die heute von Anwälten übernommen werden. Der Beitrag nimmt eine Standortbestimmung vor und macht der Anwaltschaft Mut.

Prof Dr. Christoph Schalast ist Gründungspartner der Frankfurter Wirtschaftskanzlei Schalast und daneben u.a. als Aufsichtsrat beim erfolgreichen Legal-Tech-Startup Clarius.Legal tätig. Mit seinem Vortrag “Legal Tech und die Digitalisierung. Chancen für mittelständische Anwaltskanzleien?” lieferte er einen der spannendsten Beiträge bei den diesjährigen Legal Transformation Days in Berlin. Sie können die Präsentation zu diesem Vortrag weiter unten downloaden. Vorangestellt lesen Sie einen Auszug aus dem Beitrag “Anwaltliche und Tech-Beratung – ein Zukunftsmodell” als hinführenden und erläuternden Text.

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[Auszug aus dem Beitrag „Anwaltliche und Tech-Beratung – ein Zukunftsmodell“, in: Schulz/Schunder-Hartung (Hrsg.), Legal Management 2030“ (voraussichtlicher Titel), im Erscheinen.]

Kurztitel:  Anwaltliche und Tech-Beratung – eine zukunftsweisende Kombi

Autor: Prof. Dr. Christoph Schalast; Dr. Georg Berger

1. Wer ist schon gern ersetzbar?

Gute Anwälte sind Pessimisten. In gewöhnlichen Berufen ist Pessimismus nicht gerade der Wesenszug, der einen voranbringt. Aber wir sind anders. Pessimismus geht in aller Regel mit Skepsis, ausgeprägter Vorsicht und umsichtigem Verhalten einher . Genau diese Arbeitsweise braucht ein guter Anwalt.

Allerdings verwundert es deswegen nicht, dass in einer Umfrage des Soldan Instituts zu der Bewertung von Legal Tech 46 % der befragten Anwälte vermuteten, dass Legal-Tech-Anwendungen vor allem Nicht-Anwälte nutzen werden und so die Anwaltschaft aus typischem Anwaltsgeschäft verdrängt werden wird . Und wenn man sich den Legal Tech Markt derzeit in Deutschland anschaut, fällt auf, dass dies für viele der automatisierten Rechtsberatungsprodukte auch stimmt. So haben sich hier Schwerpunkte etwa im Bereich Flug-/Bahnreiseverspätung mit Fairplane, Flightright und anderen Anbietern entwickelt . Dieses so genannte B2C Geschäft, wo Software verspätete Flugreisen mit Hilfe der Flugnummer im Hinblick auf den entstandenen Entschädigungsanspruch untersucht, macht tatsächlich juristische Arbeit überflüssig. Doch was für eine Art von Arbeit ist dies? Jedenfalls kaum Arbeit, die jeder Jurist mit zweitem Staatsexamen gerne ausüben möchte. Dies gilt ebenfalls für andere erfolgreiche Legal Techs, wie etwa geblitzt.de oder myright. Deshalb brauchen sich selbst pessimistische Juristen wenig Gedanken über ihre Zukunft machen, denn ihnen wird ermöglicht, sich auf spannendere Herausforderungen zu fokussieren.

Ein anderes Thema sind die in der letzten Zeit ebenfalls zahlreich gewachsenen An-bieter von so genannten Legal Process Outsourcing . Wie hoch solche Angebote der-zeit bewertet werden, zeigt der Einstieg des Schweizer Asset Managers Kieger bei dem Outsourcing Pionier Perconex . Verkäufer ist wiederrum ein Private Equity Fund, die ACC Holding. Doch Legal Outsourcing hat zunächst einmal mit Legal Tech nur wenig zu tun. Gemeinsam haben sie zunächst nur den Standardisierungs-gedanken. Fraglich ist aber, ob es eine für Mandanten und für die Anwaltschaft wirtschaftlich interessante Kombination von Legal Tech, Legal Outsourcing und Highend Beratung geben kann. Damit stellt sich gar nicht mehr die Frage, wie sie in der Literatur vielfältig diskutiert wird, ob Aufgaben, die heute von Juristen wahrgenommen werden, in Zukunft Software übernimmt . Denn die Antwort darauf ist, wie die kurzen Ausführungen zu B2C Portalen gezeigt haben, eindeutig „Ja“. Die aktuelle Frage lautet vielmehr, wie man diese Bedrohung für juristische Standardarbeit intelligent für das eigene Business Development nutzen kann. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass bereits vor über 30 Jahren in philosophischen Seminaren der deutschen juristischen Fakultäten diskutiert wurde – bitte erinnern: es war die Zeit der gigantischen IBM Rechner –, ob nicht ein „objektiver Computer“ der bessere Richter wäre, als der fehlbare Mensch. Aus guten Gründen ist dies dann nicht weiterverfolgt worden und Gleiches gilt zwar nicht für jede aber doch die qualifizierte persönliche anwaltliche Beratung. Die Kunst ist es, die richtige Verbindung zwischen der Anwendung von künstlicher Intelligenz, Outsourcing-Komponenten und individueller Beratung zu finden.

Denn die Entwicklung selbst kann man nicht verhindern: der Markt erfordert derzeit Veränderung. Der Rechtsdienstleistungsmarkt wird zunehmend von veränderten Anforderungen der Mandanten bestimmt, die erfolgsorientierte und immer schnellere, serviceorientierte und preiswerte Rechtsdienstleistung in hoher Qualität einfordern .

Diese Anforderungen gelten gleichermaßen im Privatkunden- und Geschäftskundenumfeld. Es geht also um Effizienzsteigerung mit den wesentlichen Faktoren: (i.) Kosteneffizienz, (ii.) Schnelligkeit und dies (iii.) nach den Vorgaben des Mandanten.

Und damit ist auch der (scheinbare) Siegeszug von Legal Tech in den letzten Monaten zu erklären.

2. Künstliche Intelligenz

Legal Tech im engeren Sinne zeichnet sich durch die Nutzung künstlicher Intelligenz: Der Begriff beschreibt die grundsätzlichen Fähigkeiten künstlicher Systeme, die intelligent erscheinen, zu wählen. In deren Kern stehen Algorithmen, die von einem Computer abgearbeitet werden können und in Software abgebildet sind, sowie Daten, die von jenen Systemen verarbeitet werden. Dabei dienen die Daten als eine Art Baustoff, da solch ein System im Wesentlichen Verhalten aus eingespeisten Datenmustern repliziert.

Die Anwendungsbereiche wird man in drei Gruppen teilen können:

(1) Suchtechnologie zur Identifikation relevanter Dokumente

Diese Anwendung hilft bei der effizienten Bearbeitung großer Massen an Dokumenten, etwa bei Due-Diligence-Projekten oder Vertragsanalysen/Vertragserfassung im Unternehmen.

(2) Werkzeuge zur Extraktion strukturierter Informationen

Solche Funktionalitäten können für bestimmte Aussagetypen, etwa Kündigungsmodalitäten in einem Mietvertrag, die relevante Parameter aus dem Fließtext extrahieren und so aus einer Masse an Dokumenten eine Tabelle mit den entscheidenden Inhalten erstellen .

Bisher finden sich Anwendungsbereiche vor allem in den stark gleichförmig geprägten Vertragstypen wie im Immobilien- und Arbeitsrecht . Denn die Technologie funktioniert nicht allgemeingültig, sondern stets auf spezifischen Aussagetypen.

(3) Entscheidungsvorhersage und Risikobewertung

Entscheidungsvorhersage und Risikobewertung basiert auf der Analyse historischer Entscheidungen, die nach bestimmten Eigenschaften kategorisiert sind . Solche Analysesysteme dürften in Case Law geprägten Rechtssystemen einfacher umzusetzen sein als in kodifizierten Rechtsordnungen. Gleichwohl sind sie auch in diesen Rechtsordnungen, namentlich der deutschen, von erheblicher Bedeutung für die juristische Bewertung von Sachverhalten. Hier wie dort liegt die Schwierigkeit der Prädiktion insbesondere darin begründet, trotz der Komplexität und Vielschichtigkeit einzelner Rechtsstreitigkeiten eine angemessene Datenbeschaffung zu gewährleisten.

Diese drei Anwendungsbereiche zeigen, dass es nicht unerhebliches Potential gibt, Anwaltsarbeit zu ersetzen. Man wird auch davon ausgehen müssen, dass dies geschehen wird, denn nur auf diese Weise können die drei eingangs angenommenen maßgeblichen Anforderungen an die Anwälte der Zukunft erfüllt werden: (i.) Kosteneffizienz, (ii.) Schnelligkeit und dies (iii.) nach den Vorgaben des Mandanten.

3. Grenzen von Legal Tech

Wenn es zutrifft, dass in Zukunft alle Bereiche des Rechts von Legal Tech-Anwendungen erfasst sein werden, stellt sich die Frage, welche Aufgaben dem Juristen vorbehalten bleiben werden. Sieht man sich die Literatur zu Legal Tech an, scheint es ganz herrschende Meinung zu sein, dass Legal Tech allein eine Hilfsfunktion zukommen wird . Diese Einschätzung scheint sehr optimistisch. Denn sicher ist es richtig, dass sich der Anwalt nicht blind auf Technologie verlassen darf. Aber auch heute schon bearbeiten und analysieren Unternehmen Verträge selbst und führen Transaktionen und Due-Diligence-Tätigkeiten selbst durch unter Nutzung derzeit vorhandener Technologien. Dieser Trend wird sich verstärken, wenn Software-Anwendungen gute Analyse-Resultate (über 80% Erfolgswahrscheinlichkeit dürfte dabei vielen Unternehmen schon reichen) erzielen. Dann ist es sehr wohl denkbar, dass aus der reinen Hilfstechnologie eine Entscheidungstechnologie wird. Aber hier gilt: Wenn die Mandanten ein solches Vorgehen wünschen, wird die Juristenschaft dies kaum verhindern können. Der juristisch sicherste Weg ist eben nicht immer das, was die Mandanten wünschen.

Noch recht einfach scheint die Antwort auf die Frage, wie es um die anwaltliche Haftung bestellt ist, wenn eine juristische Prüfung auf Basis von Legal Tech erfolgt und die Mandanten ausdrücklich nur Stichproben oder andere nachgelagerte Prüfungen nachgefragt haben; dann kann eine Anwaltshaftung nicht auf Basis der Rechtsprechung des BGH zur Verpflichtung der Beschreitung des sichersten Weges erfolgen. Dennoch ist das bisher ungeklärt.

4. Der richtige Mix

Wie kann also nun die Antwort der Kanzleien aussehen? Die Großkanzleien haben es ja schon vorgemacht, sie haben sich mit Anbietern von künstlicher Intelligenz, wie etwa Kira, zusammengetan, um diese für sich weiter zu entwickeln, sie arbeiten mit Outsourcing Anbietern zusammen oder bauen sie selbst auf, wie Riverview, die aber gerade interessanterweise an einen der großen WP Gesellschaften weiterverkauft wurde . Auch dies ist eine hochspannende Entwicklung, denn gerade in den WP Gesellschaften beziehungsweise ihren Rechtsberatungsgesellschaften waren viele dieser Entwicklungen bereits früher sichtbar. Eine ganz besondere Herausforderung stellt diese Entwicklung aber vor allem für mittelständische Kanzleien dar. Diese stellten sich traditionell als schlanke Pyramiden dar, investierten viel in die Ausbildung ihrer Associates, denen auch eine konkrete Partnerperspektive aufgezeigt wurde und sie stehen der Digitalisierung eher zurückhaltend und skeptisch gegenüber, dachten „Das brauchen wir doch nicht!“. Genau dies funktioniert aber in der neuen Rechtsberatungswelt nicht mehr. Mittelständler müssen in Zukunft damit rechnen, dass sie bei größeren Projekten, die sie unbedingt in ihrem Portfolio benötigen, von Großkanzleien oder den Big Four unterboten werden, weil diese eben den richtigen Mix von Paralegals, Outsourcing und LegalTechs zu einem höchst attraktiven Preis anbieten. Die Antwort kann nur sein, dass man darauf entsprechend reagiert, eigene Standardangebote zunächst in den Bereichen Datenschutz, Geldwäsche, IT Sicherheit, Compliance Beauftragter oder Whistleblower Service entwickelt. Kombinieren sollte man solche Services mit marktfähigen Legal Tech Angeboten, etwa im Bereich Due Diligence Services oder Legal Housekeeping. All dies ist keine „Rocket Science“, sondern Mittelständler können dies – gegebenenfalls auch in Kooperation mit White Label Service Providern – sehr wohl anbieten, wenn sie sich für diese Entwicklung öffnen. Denn am Ende ist der richtige Mix entscheidend, der Mix aus wirklich reifer B2B Business anwendungsfähiger Software, dem Einsatz von Project Lawyer oder Paralegals in standardisierten Prozessen sowie Outsourcing mit der individuellen klassischen und persönlichen Highend Beratung durch den „Trusted Advisor“.

Hier können Sie die Präsentation von Prof. Dr. Schalast bei den Legal Transformation Days herunterladen (PDF-Dokument):

Hier geht es zum ebenfalls im Legal Tech Blog erschienenen Interview mit Prof. Dr. Schalast.