Von Mischa Peters — Marco Klock ist Geschäftsführer der Atornix GmbH (ehemals casecheck GmbH), die neben dem Hauptportal Atornix.de mit dieselabgasskandal-helfer.de und hartz4widerspruch.de zwei spezialisierte Portale für Verbraucherrecht betreibt. Letzteres ist für Marco Klock insofern eine Herzensangelegenheit, als dass es den Beweis liefern soll, dass Legal Tech einen positiven Impact auf den Verbraucherschutz hat. Die Marke Atornix soll indes zu einem “Amazon für Rechtsdienstleistungen” ausgebaut werden. Im Interview mit dem Legal Tech Blog gewährt uns Marco Klock einen spannenden Blick hinter die Kulissen und erklärt das Geschäftsmodell von Atornix und insbesondere hartz4widerspruch.de.
LTB: Lieber Marco Klock, vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen, um unseren Lesern ein paar Fragen zu beantworten. Sie sind gemeinsam mit Philipp Harsleben Geschäftsführer der Atornix GmbH und betreiben u.a. das Portal hartz4widerspruch.de. Der Name dabei dürfte Programm sein. Sie wenden sich an Empfänger von Hartz 4 – mit welchem Angebot?
Klock: Neben Atornix.de, unserem Hauptportal, betreiben wir mit hartz4widerspruch.de und dieselabgasskandal-helfer.de zwei spezialisierte Portale für Verbraucherrecht. Bei jedem unserer Angebote geht es darum, dem Verbraucher einen möglichst einfachen, schnellen und digitalen Zugang zum Recht zu ermöglichen. Jeder Kunde erhält innerhalb kurzer Zeit eine kostenlose Erstberatung zu seiner Rechtsfrage. Wenn nötig oder gewünscht, gibt es auch ein Beratungsgespräch mit einem Rechtsanwalt. Am Ende der Erstberatung steht ein individuelles Beratungsangebot inkl. Erfolgsaussichten, Preis und weiteren Hinweisen. Dies kann der Rechtsratsuchende dann annehmen und unsere Partneranwälte werden für ihn tätig. In den meisten Fällen übernimmt die Rechtsschutzversicherung die anfallenden Kosten.
Bei hartz4widerspruch.de ist dieser Beratungsprozess sehr eng definiert: Hartz-4-Bescheide, die nicht älter als vier Wochen sind, werden durch unsere Partneranwälte auf Fehler überprüft. Wird der Bescheid als fehlerhaft eingeschätzt, kann der Kunde sich dazu entscheiden, kostenlos einen begründeten Widerspruch über die Rechtsanwälte einreichen zu lassen. Unserer Partneranwälte lassen den Bescheid dann im Widerspruchs- oder auch Klageverfahren korrigieren. Bei hartz4widerspruch.de ist die Dienstleistung sogar komplett kostenlos: Im Falle des Sieges zahlt das Jobcenter und wenn das Widerspruchs- oder Klageverfahren verloren geht, greift die staatliche Beratungs- und Prozesskostenhilfe.
LTB: Sie führen die Atornix GmbH gemeinsam mit Philipp Harsleben. Wie sind sie auf die Idee zu hartz4widerspruch.de gekommen? Gibt es eine Gründer-Geschichte?
Klock: Den Zugang zum Recht für alle zu ermöglichen, war von Beginn an die Idee hinter Atornix. Der Plan war, dass wir mit Hilfe von Technologie die anwaltliche Arbeit vereinfachen und diese Effizienzgewinne an den Kunden weitergeben können. Im Bereich des Sozialrechts und von Hartz 4 macht diese Herangehensweise einen großen Unterschied: Ohne effiziente und softwaregestützte Prozesse ist diese Dienstleistung wirtschaftlich kaum abbildbar. Und genau diese Tatsache machte sich für den betroffenen Hartz-4-Empfänger so bemerkbar, dass er entweder keinen oder schlechte Rechtsanwälte gefunden hat, die sich um sein Rechtsproblem kümmern. hartz4widerspruch.de war für uns deshalb eine Herzensangelegenheit und sollte der Beweis werden, dass Legal Tech auch einen positiven Impact auf den Verbraucherschutz hat.
LTB: Wie groß ist Ihr Team aktuell und planen Sie einen Ausbau des Teams in der Zukunft?
Klock: Atornix beschäftigt 23 Mitarbeiter in Bremen im Bereich Marketing und Software-Development. Unsere angeschlossenen Lizenzpartner beschäftigen zudem mehr als 30 Mitarbeiter, die wiederum weitere Rechtsanwälte steuern. Damit ist gewährleistet, dass wir bundesweit in allen Themen rund um das Verbraucherrecht gut aufgestellt sind.
LTB: Sagen wir, das Jobcenter zahlt mir zwar Hartz 4, aber meiner Ansicht nach zu wenig. Was muss ich tun, wenn ich mich mithilfe von hartz4widerspruch.de wehren will? Wie ist der Standard-Ablauf?
Klock: Auf hartz4widerspruch.de registrieren, einen Bescheid zur Überprüfung anlegen, dann die vom System gestellten Fragen beantworten (abhängig von den vorher angegebenen Daten) und danach den Bescheid hochladen. Letzteres geht ganz einfach via Smartphone. Am Ende des Prozesses, der nicht länger als zwei Minuten dauert, wird dann noch gefordert, die Vollmacht der bevollmächtigten Kanzlei zu unterzeichnen.
Innerhalb weniger Tage, aber auf jeden Fall innerhalb der Widerspruchsfrist, erhält der Betroffene dann ein Feedback vom für ihn zuständigen Rechtsanwalt mit einer Einschätzung, ob der Bescheid korrekt oder fehlerhaft ist. Das Rechtsmittel des Widerspruchs ist dann nur noch einen Klick entfernt.
LTB: Sie arbeiten mit Partneranwälten zusammen. Welche Kosten kommen auf mich zu, wenn ich die Dienstleistung von hartz4widerspruch.de in Anspruch nehmen möchte?
Klock: Es entstehen bei hartz4widerspruch.de keine Kosten für den Kunden. Sollte der Widerspruch verloren gehen und auch keine Aussicht auf Erfolg in einem Klageverfahren bestehen, übernimmt der Staat im Rahmen der Beratungshilfe die Kosten. Diese beantragen wir automatisch für den Kunden, sobald die dafür benötigten Informationen vorliegen. Im Regelfall (Widerspruch war erfolgreich) übernimmt das Jobcenter die Kosten. Selbst im Klageverfahren gibt es mit der Prozesskostenhilfe ein Institut des Staates, welches die Anwaltskosten trägt. So oder so wird jeder Kunde ausführlich darüber beraten, sollte wider Erwarten ein Kostenrisiko entstehen.
LTB: Gibt es etwas, das hartz4widerspruch.de ein Alleinstellungsmerkmal verschafft? Was haben Sie anderen Anbietern voraus?
Klock: Bei hartz4widerspruch.de ist der gesamte Prozess der Überprüfung eines Hartz-4-Bescheides kostenlos und 100 % digital. Jeder Kunde hat sein eigenes Kundenkonto und kann seine Bescheide dort anlegen und jeden davon überprüfen lassen. Es kostet keine zwei Minuten Aufwand, und das ist auch der große Mehrwert: Wir übernehmen diesen Prozess inkl. der Beratungshilfe komplett, so dass der Kunde sein Problem los ist. Das inhaltliche Niveau der Überprüfung unserer Partneranwälte ist indes (wahrscheinlich) auch besser als der Durchschnitt, da wir mittlerweile mehr als 50.000 Hartz 4-Bescheide geprüft haben.
LTB: Wie werden Nutzer in der Mehrzahl auf hartz4widerspruch.de aufmerksam? Persönliche Empfehlungen, Internet, Werbung,…?
Klock: Mittlerweile sind es Empfehlungen von Bestandskunden, nachdem wir lange Zeit sehr viel Werbung im Bereich TV und Online gemacht haben. Durch eigenen Content untermalen wir das Knowhow unseres Portals und versuchen die Kunden langfristig davon zu überzeugen, dass das Jobcenter nicht immer Recht hat.
LTB: Welche Ziele möchten Sie mit hartz4widerspruch.de in den kommenden Jahren erreichen? Haben Sie womöglich bereits neue Projekte in der Pipeline?
Klock: Seit dem 23.10.2019 bündeln wir unter atornix.de alle Angebote, die wir teilweise seit Jahren über unterschiedliche Portale und Partnerkanzleien anbieten. Neben Verkehrs- und Arbeitsrecht werden innerhalb der nächsten Monate Miet-, Immobilien-, Erb-, Familien- und Versicherungsrecht folgen. Für jede Rechtsfrage in jedem dieser Rechtsgebiete wird es innerhalb kürzester Zeit ein Beratungsangebot geben, nachdem eine Erstberatung erfolgt ist. Bis zum Beratungsangebot ist diese Dienstleistung kostenlos – so soll der Zugang zum Recht für Verbraucher noch einfacher werden und die Scheu vor dem Gang zum Anwalt geringer werden. Insofern wird sich alles auf die Marke Atornix konzentrieren, die zu einem amazon für Rechtsdienstleistungen werden soll.
LTB: Die Diskussionen um Legal-Tech-Angebote und deren Zulässigkeit reißen auch nach dem wegweisenden BGH-Urteil zu wenigermiete.de nicht ab. Inwieweit betrifft dieses Thema auch ihre Dienstleistungen, und wie schätzen Sie die weiter Entwicklung ein?
Klock: Atornix war noch nie eingetragener Rechtsdienstleister und hat auch noch nie Rechtsdienstleistungen angeboten. Von Beginn an (damals war es ja noch restriktiver) hat Atornix auf Partnerkanzleien und Partneranwälte gesetzt, die mit uns zusammenarbeiten, so dass wir uns auf unsere Kernkompetenz (Marketing und Software-Development) konzentrieren können. Das Urteil des BGH beflügelt aber auch unsere Vision, weil es ein klares Statement für lange überfällige Innovationen am Rechtsmarkt ist. Wir begrüßen das Urteil und freuen uns auf die Zukunft.
LTB: Generell ist die Legal-Tech-Szene in ständiger Bewegung. Daher zum Ende noch die Bitte um ihre persönliche Einschätzung: Wie wird sich Legal Tech in den kommenden Jahren entwickeln? Welche Angebote werden sich durchsetzen, welche Services eher nicht?
Klock: Wir haben ja bereits am 23.10.2019 veröffentlicht, dass ein Rechtsschutzversicherer im Rahmen einer Series-A-Finanzierung bei Atornix als Gesellschafter eingestiegen ist. Persönlich denke ich, dass dies ein lange überfälliges Signal derer war, die eigentlich das Sagen am Verbraucherrechtsmarkt haben. Es wird weitere Investitionen der Versicherer in Legal Tech geben, um mit dem eigenen Angebot auch zukünftig attraktiv für eigenen Kunden zu sein und sich für diese Zukunft zu rüsten – denn: die Grenzen der Geschäftsmodelle im Rechtsmarkt sind fließend und häufig geht es darum, wer das Risiko am besten einschätzen kann. Durch Technologie verschiebt sich dieses Know-how teilweise in Richtung anderer Unternehmen (Legal Tech), die prädestiniert dafür sind, Rechtsschutz, Rechtsdienstleistungen und den Rechtsmarkt neu zu denken.
Es wird irgendwann zu einer Konsolidierung des Marktes und auch der Shareholder im Markt kommen, und gewinnen wird dabei derjenige, der alle zufriedenstellend zusammenbringt. Da reicht der Blick in andere Märkte. Eines ist sicher: Der Kunde wird so oder so gewinnen.
LTB: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Klock.