Von Mischa Peters
Rechtsanwalt, Autor, YouTuber und jetzt auch Softwareanbieter – Christian Solmecke arbeitet parallel an den verschiedensten Projekten im Bereich Recht. Gemeinsam mit der HW Partners AG bringt er jetzt die Cloudsoftware Legalvisio für Anwälte und Kanzleien auf den Markt. Im Interview mit dem Legal Tech Blog zeichnet er für uns den Weg von der erste Idee bis zur fertigen Softwarelösung nach.
LTB: Herr Solmecke, schön dass Sie sich die Zeit nehmen unsere Fragen zu beantworten. Sie sind Rechtsanwalt für IT- und Internetrecht und Gesellschafter der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke in Köln. Viele unserer Leser kennen Sie sicher als Medienexperten und aktiven YouTuber. Uns geht es heute um eine cloudbasierte Kanzleisoftware, die Sie mitentwickelt haben, die in Ihrer Kanzlei seit Jahren erfolgreich eingesetzt wird und die in Kürze unter dem Label “Legalvisio” für Anwälte verfüg- und buchbar sein wird. Erklären Sie uns doch einmal kurz, was ihre Software für Kanzleien leistet?
Christian Solmecke: Wir hatten in unserer eigenen Kanzlei das Problem, dass wir Opfer unseres eigenen Erfolges geworden sind. Das heißt: Wir hatten mehr Mandate, als wir mit gängiger Kanzleisoftware abarbeiten konnten. In diesem Zusammenhang haben wir festgestellt, dass viele Prozesse im Kanzleialltag wiederkehrend sind. Genau diese Dinge, die man automatisieren kann, haben wir in unserer Software abgebildet und wollen damit nicht nur unser eigenes Kanzleileben sondern auch das Leben aller anderen Anwälte vereinfachen.
LTB: Wie ist die Idee zur Entwicklung einer eigenen Software denn entstanden? Und wie kommt ein Anwalt überhaupt dazu eine Software zu entwickeln?
Christian Solmecke: Vor etwa acht Jahren gelang es uns tausende abgemahnte Tauschbörsennutzer als Mandanten zu akquirieren. In der Folge platzten unsere Kopierer aufgrund der Vielzahl des Schriftverkehrs aus allen Nähten, Sekretariate mussten teilweise bis nachts arbeiten, um den hohen Arbeitsanfall zu bewältigen. Das war die Geburtsstunde von Legalvisio. Wir nahmen uns einen eigenen Entwickler, der eine Software entwickelte, die über eine Weboberfläche von überall leicht zugänglich war. Das ortsunabhängige Arbeiten war für uns sehr wichtig, da wir aufgrund des schnellen Wachstums verteilt an mehreren Standorten und teilweise auch im Homeoffice arbeiten mussten. Sieben Jahre lang haben wir diese Software nur kanzleiintern entwickelt. Im Jahr 2016 haben wir uns dann mit der HW Partners AG zusammengetan, die mit Scopevisio eine erfolgreiche Cloudsoftware für den Mittelstand auf den Markt gebracht hat. Wir haben das Scopevisio-Know-How mit unserem Kanzlei-Know-How vereint und daraus eine hochfunktionale, cloudbasierte Kanzleimanagement Software programmiert.
LTB: Welche Schwierigkeiten auf dem Weg zur fertigen Softwarelösung hatten Sie zu überwinden? Konnten Sie von frühen Entwicklungsstufen lernen?
Christian Solmecke: Natürlich läuft Softwareentwicklung niemals reibungslos. Die größte Problematik ergab sich eigentlich vor zwei Jahren, als wir uns dazu entschlossen haben, die Softwareentwicklung zu professionalisieren. Bis dahin hatten wir sieben Jahre lang an dem Code programmiert. Das ist in etwa vergleichbar als wenn man sieben Jahre lang an einem Haus baut. Wie man sich vorstellen kann, sind bei so einer Entwicklung die Wände nicht mehr ganz gerade und das Haus ziemlich brüchig. Deswegen haben wir uns im Jahr 2016 entschieden, die gesamte Codebasis neu zu gestalten. Das heißt, wir haben ein modernes Programmier-Framework gewählt und haben die Software in den letzten zwei Jahren komplett neu entwickelt um auch für die Zukunft gerüstet zu sein. Das war wahrlich eine Herkulesaufgabe.
LTB: Wer sind die Gründer und Hauptverantwortlichen von Legalvisio? Wie groß ist das Team derzeit?
Christian Solmecke: Gründer von Legalvisio ist neben mir auch die HW Partners AG, die frühzeitig erkannt hat, dass die Installation von Anwaltssoftware oldschool ist und der Weg in die Cloud für Softwareanbieter unumgänglich ist. Mein Geschäftspartner Dr. Jörg Haas vertritt schon lange die Auffassung, dass man nicht langjährige Softwarewartungsverträge abschließen sollte, die dann noch hohe interne IT- und Hardwarekosten verursachen. Er propagiert, dass man Software wie Strom aus der Steckdose nach Bedarf beziehen sollte. Genau das ist unser Ansatz. Das Team besteht derzeit neben Dr. Jörg Haas und mir als Geschäftsführer noch aus vier Entwicklern, einem Supportmitarbeiter und einem Vertriebsmitarbeiter. Wir sind also noch überschaubar in der Größe, dafür allerdings extrem agil und wendig.
LTB: Worin liegt eigentlich genau der Vorteil einer Anwaltssoftware in der Cloud? Die meisten Rechtsanwälte dürften es ja gewohnt sein eine fest installierte Software auf ihren Rechnern zu verwenden.
Christian Solmecke: Natürlich bietet die Cloud den Vorteil, dass man Zugriff auf seine Kanzlei von überall hat. Gerade für Anwälte gibt es eigentlich keinen Grund, ihre Arbeit jeden Tag in der Kanzlei zu erledigen. Das beste Beispiel bin ich selbst: Ich wohne am Stadtrand von Köln und komme oft erst um zehn Uhr ins Büro. Damit umgehe ich den nervigen morgendlichen Berufsverkehr, habe aber trotzdem schon zwei bis drei Stunden von zu Hause aus gearbeitet. Auf die gleiche Weise arbeite ich auch aus unserem Wochenendhäuschen in Holland. Doch diese Mobilität ist nur der geringste Vorteil von Cloudsoftware. Der Hauptvorteil liegt eigentlich darin, dass Cloudsoftware genutzt werden kann, ohne dass ein Installationsaufwand notwendig ist. Die einzige Voraussetzung, die man für unsere Software benötigt, ist ein Internetbrowser. Wir kümmern uns um den Rest: Das stets aktuelle Betriebssystem, die Updates der Software und das Backup erledigen wir. Der Nutzer bekommt davon überhaupt nichts mit und muss nur für eine stabile Internetverbindung sorgen. Die Unabhängig vom Betriebssystem führt im Übrigen auch dazu, dass man unsere Software genauso auf einem Handy, einem Tablet oder einem Linux-Rechner einsetzen kann. Einzige Voraussetzung ist der vorhandene Browser. Und hat der Mandant nach einem Gerichtstermin einmal eine Frage, hat man seine Kanzlei immer auf dem Handy in der Hosentasche und kann jede Frage bestens beantworten.
LTB: Was entgegnen Sie skeptischen Anwaltskollegen, die sich im Hinblick auf die Nutzung einer Cloudsoftware um die Sicherheit Ihrer Daten sorgen?
Christian Solmecke: Bei uns ist es das Kerngeschäft, die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. Ich möchte einmal behaupten, dass die Daten bei uns sicherer sind, als in nahezu jeder Anwaltskanzlei. Wir kümmern uns 24 Stunden am Tag darum, dass wir lauffähig sind und die Daten der Kollegen gesichert werden. Bei einem Anwalt, der eigene Server betreibt, ist dies anders. Manchmal werden Updates vergessen, es gibt keine Update-Konzepte, es wird nicht überprüft, ob die Updates wirklich funktionsfähig sind, redundante Systeme sucht man bei den meisten Kollegen auch vergeblich. Und nicht zuletzt: Das Thema Sicherheit. In nahezu jeder Kanzlei Deutschlands haben Praktikanten und Putzfrauen Zugang zu den IT-Systemen. Das ist bei uns nicht so. Wir hosten die Daten in einem C5 zertifizierten Rechenzentrum. Das ist derzeit die höchste Sicherheitsstufe, die man buchen kann.
LTB: Welche Vorteile bietet Legalvisio gegenüber anderen Anbietern von Anwaltssoftware? Gibt es einen Wettbewerbsvorteil?
Christian Solmecke: So richtig moderne Anwaltssoftware ist in den letzten Jahren nicht auf den Markt gekommen. Es gab immer wieder kleinere Verbesserungen, doch der große Wurf war in meinen Augen nicht dabei. Wir sind da anders, wir haben die Software aus der Sicht heutiger technologischer Möglichkeiten entwickelt. Das bedeutet, dass sich das Arbeiten bei uns eher wie das Browsen durch das Internet anfühlt. Bei Wettbewerbern habe ich manchmal das Gefühl, dass diese noch in den achtziger Jahren stehen geblieben sind und modulare Klickboxen anbieten, wie wir sie noch aus alten DOS-Zeiten kennen. Darüber hinaus ist natürlich ein wesentlicher Vorteil, dass man unsere Software auch ohne dahinterstehende Pflegeverträge oder IT-Support nutzen kann. Das bedeutet, Hardwareanschaffungen in Höhe von mehreren tausend Euro fallen bei uns weg. Diesen Vorteil haben die meisten Menschen gar nicht im Blick, wenn man über Cloudanwaltssoftware spricht. Und schließlich haben wir versucht, so viele Jobs wie möglich an den Computer auszulagern. Das heißt: Alles was automatisiert werden kann, haben wir auch automatisiert. Wir haben beispielsweise ein vollautomatisches Mahnwesen, das bei Bedarf die Mandanten per E-Mail oder per Post mahnt, ohne dass die Sekretariate dafür auch nur einen einzigen Brief ausdrucken müssen. Allein dieses automatische (und damit zügigere) Mahnweisen hat in meiner eigenen Kanzlei den Zahlungsausfall von 3,8 % auf 1,8 % gesenkt. Schon dadurch wird sich die Software für die meisten Anwälte rechnen. Im Übrigen können die automatisierten Workflows nicht nur im Massengeschäft eingesetzt werden. Der einfachste Workflow ist zum Beispiel die Verfügung „Mandant zur Kenntnis“. Hier geht es dabei darum, dass nahezu jedes Schreiben in einer Akte bei uns ankommt, auch an den Mandanten weitergeleitet werden muss. Das ist nur ein Klick für den Anwalt und alle Jobs sind erledigt. Die E-Mail ist weitergeleitet worden direkt aus der Software, die Weiterleitung ist protokolliert worden und die Mails sind direkt in der Akte gespeichert. Sofern das erforderlich ist, wurde das Dokument dann auch direkt an die Rechtsschutzversicherung gesandt, je nachdem wie man sich den Workflow vorher eingestellt hat.
LTB: Anwälte arbeiten zunehmend auch auf mobilen Endgeräten. Sie erwähnten bereits, dass sich Ihre Software auch auf Smartphone, Tablet und Co. nutzen lässt. Wie funktioniert die Bearbeitung von Dokumenten, Akten und Mandantenverwaltung auf den verschiedenen Geräten und ggf. durch mehrere Mitarbeiter in der Kanzlei?
Christian Solmecke: Aufgrund der Tatsache, dass man nur einen Browser benötigt, um die Software zu starten, lässt sie sich problemlos auch auf Tablets und Smartphones benutzen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass gerade das Browsen auf einem iPad damit richtig Spaß macht und man so wieder Lust bekommt, mit Software zu arbeiten. Darüber hinaus sind wir natürlich responsiv, so dass wir uns an die Größe des jeweiligen Endgeräts anpassen. Das sind Technologien, die man auch von anderen Webseiten kennt und die wir uns bei dieser Software zu Nutze gemacht haben. Wenn neue Dokumente hereinkommen, sieht der Arbeitsablauf so aus, dass das Sekretariat die Dokumente direkt in die Akte mailen kann. In der Betreffzeile muss dann nur das Aktenzeichen stehen. Landet ein Dokument in einer Akte, steht es automatisch auch der Agenda des zuständigen Anwalts. Damit ist dann auch schon gleichzeitig die komplette Wiedervorlage erledigt. Der Anwalt erstellt dann die Verfügung, die dann wiederrum auf der Agenda seiner Sekretärin zu sehen ist. Alles natürlich voll automatisch. Dokumente können auf zwei Arten bei uns erstellt werden. Entweder die Dokumente werden direkt im Browser verfasst. Das eignet sich insbesondere für kürzere Texte oder Textbausteine. Hierfür haben wir die gängigen Formatierungsmöglichkeiten unmittelbar in einen Browser-Editor eingebaut. Darüber hinaus kann man auch wie gewohnt Dokumente in Word schreiben und in unserer Software hochladen. Für die Zukunft ist auch ein kollaboratives Arbeiten geplant, die Grundlagen dafür haben wir bereits programmiert, diese müssen allerdings noch im Live-Betrieb getestet werden.
Worauf ich besonders stolz bin, ist unser umfangreiches Zeiterfassungsmodul, das wahrscheinlich mit den teuren Zeiterfassungsmodulen jeder Großkanzlei mithalten kann. Auf einen Klick sieht bei uns jeder Anwalt, wie viel Umsatz er in diesem Monat in welchen Akten gemacht hat und weiß damit sofort, wie viel er für uns wert ist. Das gleiche Wissen haben wir dann natürlich auch und nutzen es auch in den monatlichen Feedbackgesprächen. Wir erkennen auf einen Klick auch unlukrative Akten und können dann mit den Mandanten darüber reden, ob hier eine Berufung wirklich durchgeführt werden soll oder ob nicht ein anderer Anwalt besser übernehmen sollte. Hat uns ein Mandant nicht gezahlt, sieht man einen deutlichen roten Hinweis in der Aktenansicht. Wir reden dann mit dem Mandanten erst einmal über die ausstehende Rechnung und nicht über seinen Fall. Das klingt zwar simpel, wird aber von bestehenden Kanzleisoftwareanbietern bislang so noch nicht angeboten.
LTB: Mit welchem Preismodell werden Sie bei Legalvisio arbeiten? Ist die Software auch für kleinere Kanzleien erschwinglich?
Christian Solmecke: Unser Preismodell ist einfach. Wir werden 99,00 € pro Nutzer und Monat berechnen. Darin enthalten sind dann natürlich auch alle Hardwarekosten, die auf unserer Seite anfallen, die Backups und sämtliche Updates der Software. Der Anwalt muss sich nur noch um einen schnellen Scanner und eine gute Internetverbindung kümmern. Ein Server ist für den Betrieb unserer Software auf Seiten der Kanzleien nicht erforderlich. Dadurch, dass wir so ein einfaches Preismodell haben und der Bezug der Software monatlich kündbar ist, sind wir auch für kleinere Kanzleien attraktiv.
LTB: Sehen Sie auch Risiken für das Geschäftsmodell von Legalvisio?
Christian Solmecke: Mir ist bewusst, dass gerade Anwälte noch Vorbehalte gegenüber Cloudsoftware haben. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist und wir uns spätestens in fünf Jahren fragen, warum wir alle Stunden mit der Installation von Software auf unseren eigenen Rechnern verbracht haben, wenn das doch professionelle Cloudanbieter für uns viel besser können. Ich gehe auch davon aus, dass Cloudsoftware spätestens dann einen Durchbruch erleben wird, wenn Anwälte flächendeckend das beA nutzen und ohnehin ihre Dokumente morgens erstmal einscannen müssen. Zum beA selbst äußere ich mich dann an dieser Stelle jetzt wohl besser nicht…
LTB: Welche Ziele möchten Sie mit Legalvisio kurzfristig erreichen? Was ist der langfristige Plan?
Christian Solmecke: Wir testen jetzt mit vier Kanzleien die Software und sammeln das Nutzerfeedback. Bis Ende 2018 hätten wir gerne 20 – 30 weitere Kanzleien, auf dem System. Anfragen gibt es hier schon mehr als genug. Damit können wir das Gesamtsystem reifen lassen und auf die Bedürfnisse der Anwaltschaft eingehen. Anfang 2019 bis Mitte 2019 planen wir dann im größeren Stil durchzustarten und auch im Marketing richtig Gas zu geben.
LTB: Herr Solmecke, vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Rechtsanwalt Christian Solmecke, LL.M., Gründer und Geschäftsführer der Legalvisio GmbH
Rechtsanwalt Christian Solmecke (44) hat in seiner Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE den Bereich Internetrecht/E-Commerce stetig ausgebaut. Er betreut dort zahlreiche Online-Händler, Medienschaffende und Web-2.0-Plattformen. Daneben ist RA Solmecke Gründer mehrerer IT-Startups, seine ersten Projekte hat er selbst programmiert. Neben seiner Kanzleitätigkeit und der Geschäftsführung von Legalvisio ist Christian Solmecke Autor zahlreicher Fachbücher zum Thema Online-Recht und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Kommunikation und Recht im Internet (DIKRI) an der Cologne Business School (http://www.dikri.de). Dort beschäftigt er sich insbesondere mit den Rechtsfragen in Sozialen Netzen. Vor seiner Tätigkeit als Anwalt arbeitete Solmecke mehrere Jahre als Journalist für den Westdeutschen Rundfunk und andere Medien.