Richter-Tools: Die App für den modernen Richter – Interview mit VRiLG Prof. Dr. Jan F. Orth, LL.M. (LG Köln)

von Nico Kuhlmann

Die digitale Transformation betrifft die gesamte Rechtsbranche und damit auch die Justiz. Bei Gericht gibt es auch wiederkehrende Arbeiten, die automatisiert, und althergebrachte Prozesse, die neu aufsetzt werden können. Dabei geht nicht um die Schaffung eines Robo-Richters, sondern darum, den Richtern die Werkzeuge an die Hand zu geben, damit diese ihren Job bestmöglich ausüben können.

Jan F. Orth ist Vorsitzender Richter am Landgericht Köln sowie Honorarprofessor an der Universität zu Köln und der Geschäftsführer der dortigen Forschungsstelle Sportrecht. Zusätzlich entwickelt er gegenwärtig eine App namens “Richter-Tools”, die Funktionen enthalten soll, die deutschen Richtern den beruflichen Alltag erleichtert. Die App befindet sich in einer privaten Beta-Phase. Über den Fortschritt wird laufend unter dem Twitter-Handle @richtertools berichtet.

Nico Kuhlmann: Lieber Herr Orth, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Sie scheinen als Richter und Professor eigentlich genug zu tun haben. Warum investieren Sie jetzt als Jurist auch noch Zeit darin, eine App zu entwickeln?

Jan F. Orth: Weil es mir Spaß macht! Computer und Programmieren sind ein altes Hobby von mir, auch wenn ich zuletzt als Teenager auf dem C64 und alten MS-DOS-PCs richtig aktiv war. Ich habe die Herausforderung geschätzt, mich in die modernen Umgebungen und Sprachen wieder einzufinden. Das ging erstaunlich gut. Programmieren scheint ein wenig zu sein wie Schwimmen: Die Grundzüge verlernt man nicht.

Nico Kuhlmann: Wie würden Sie gegenwärtig als langjähriger Richter an einem Landgericht den Fortschritt der digitalen Transformation in der deutschen Justiz einschätzen?

Jan F. Orth: Wir befinden uns mitten im Umbruch. Viele, auch sehr aufgeschlossene, Kollegen können sich noch überhaupt nicht vorstellen, wie in wenigen Jahren die Arbeit „ohne Akte“ aussehen soll. Das wird eine Herausforderung werden, weil sich über Jahrzehnte eintrainierte Methoden plötzlich ändern und wir uns darauf einstellen müssen. Ich freue mich vor allem auf die Chancen: Moderne Software wird uns beispielsweise prima Möglichkeiten zur Aufbereitung, Strukturierung und Analyse dicker Akten bringen.

Nico Kuhlmann: Wie sind Sie auf die Idee mit der App bekommen? Was hat Sie am Status Quo gestört und was wollten Sie ändern?

Jan F. Orth: Ich wollte etwas Sinnvolles machen und nicht einfach drauf los programmieren. Dabei ist mir aufgefallen, welche Prozesse sich in meinem Dezernat wiederholen, bei denen ich zudem noch „Großvaters Methode“ anwende. In meiner Kammer arbeiten wir recht modern, mit geteiltem Kalender, WhatsApp zur Koordination – ohne kritische Daten freilich – und e-Akte. Die Fristen, die ich häufig zu prüfen oder zu berechnen habe, werden nun automatisch durch die App in mein Kalendersystem eingepflegt. Auch die gepflegten Kalender werden ausgewertet und von der App berücksichtigt. Das habe ich früher mit dem Papierkalender händisch gemacht und dann ins iPhone eingetragen. Mir ist aufgefallen, dass sich eine Vielzahl von juristischen Aufgaben wegen des hohen Strukturierungsgrads einfach in elektronische Systeme übertragen lassen. Am Status Quo störte mich also, dass es mit Elektronik einfacher und effektiver geht.

Nico Kuhlmann: Welche Funktionen hat die App bisher und wie wollen Sie die App in Zukunft noch weiter ausbauen?

Jan F. Orth: Dies habe ich auf der Support-Seite www.janforth.de/richter-tools ausführlich dokumentiert. Ich stelle mir so eine Art „Schweizer Offiziersmesser“ für den Richter vor. Mit meinem Strafrahmenrechner braucht man beispielsweise kein StGB mehr mit in die Sitzung zu nehmen: die App reicht. Wenn ich die Hauptverhandlung unterbrechen muss, sagt mir die App, wie lange das geht, ohne dass ich einen Kalender bemühen muss. Ob das bei mir und den Beisitzerinnen terminlich passt, sehe ich dann auch gleich. Sukzessive würde ich, soweit Zeit ist, einbauen wollen, was sinnvoll ist. Das richtet sich ausschließlich nach den Bedürfnissen der Praxis. Ich habe auf Twitter auch schon einmal gefragt, was Anwender wünschen oder gerne verwenden würden. Ich freue mich, dass auch viele Anwälte großes Interesse an der App haben. Das macht natürlich Sinn, weil sich bei ihrer Aufgabenstellung viele der richterlichen Fragen ebenfalls stellen. Alle Juristen, auch in der Ausbildung zum Lernen oder Nachvollziehen der rechtlichen Ansätze, sind Adressaten der App. Die Richtersicht würde ich gleichwohl nicht aufgeben. Sie ist ja ebenfalls in der Ausbildung zu Recht betont.

Nico Kuhlmann: Wieviel Aufwand steckt bisher in der App? Machen Sie alles allein oder haben Sie Mitstreiter, die Sie in irgendeiner Art und Weise unterstützen?

Jan F. Orth: Ich habe vor drei Monaten angefangen und bei Lust, Laune und Zeit immer wieder daran gearbeitet. Das ist alles von mir allein. Dabei habe ich natürlich viele Quellen genutzt, um mich zu informieren. Online-Kurse, wie etwa den exzellenten Kurs „Developing iOS 10 Apps with Swift“ von einem genialen Professor der Stanford University auf iTunes U, klassische Bücher, YouTube und natürlich Entwickler-Foren und -Blogs. Ich bin begeistert, wie einfach es heute ist, an die notwendigen Informationen zu kommen. Das hätte ich mal gebraucht, als ich 15 war!

Nico Kuhlmann: Sie entwickeln die App für iOS, dem Smartphone-Betriebssystem des iPhones von Apple. Hat dies einen bestimmten Grund oder wird es auch noch eine Version für Android geben?

Jan F. Orth: Nun, ich nutze Apple-Produkte sehr gern und habe ein iPhone. Das ist der eigentliche Grund. Niemand mit Android will ich ausschließen, aber wenn ich mir nun auch noch das Android SDK ansehe, befürchte ich, dass ich Ärger zu Hause bekomme. Spaß beiseite. Wir werden sehen, wie das weitergeht. Vielleicht möchte die Aufgabe ja auch jemand übernehmen. Konkrete Pläne habe ich nicht. Ich möchte die iPhone-Version nun erst einmal veröffentlichungsreif bekommen.

Nico Kuhlmann: Haben Sie eigentlich vor, mit der App Geld zu verdienen? Planen Sie die App  kostenpflichtig anzubieten oder wollen Sie diese vielleicht sogar verkaufen?

Jan F. Orth: Mir geht’s nicht ums Geldverdienen. Mir macht das Freude, ich erleichtere meine eigenen täglichen Abläufe und kann vielleicht auch bei meinen hoch belasteten Kollegen für etwas Entlastung und Vereinfachung sorgen. Meine derzeitige Vorstellung ist, die App für kleines Geld – also wirklich in dem Bereich, was ein Kaffee kostet – im App-Store anzubieten. Reich wird man davon mit Sicherheit nicht, weil ja allein durch die Mitgliedschaft im Apple Developer Programm, Webseite, Domain, Literatur und so weiter einiges an Kosten anfällt. Wenn mir jemand ein interessantes Kaufangebot macht, würde ich darüber nachdenken. Möglicherweise verliert die App dann aber auch ihren Charme: Es entwickelt ja jemand, der all diese Dinge aus seiner tagtäglichen Arbeit kennt. Das wäre bei einer Agentur oder größeren Firma wohl nicht der Fall. Aber vielleicht gibt es ja auch dafür eine Lösung.

Nico Kuhlmann: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für die deutsche Justiz in Bezug auf die digitale Transformation wünschen?

Jan F. Orth: Mehr Offenheit für und mehr Vertrauen in die IT; weniger „German Angst“ beim Thema Datensicherheit und Datenschutz. Letzteres ist zwar gerade für die Justiz ein äußerst wichtiger Punkt, den man nicht unterschätzen werden darf. Auswüchse sind aber auch nicht hilfreich: Sie verhindern Innovation und Handhabbarkeit.

Nico Kuhlmann: Vielen Dank, lieber Herr Orth. Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre weiteren Projekte!