von Nico Kuhlmann
Rechtsanwalt Florian Glatz ist als Blockchain-Lawyer bekannt und hat sowohl das Legal Tech Center in Berlin als auch den Blockchain Bundesverband namens Bundesblock mitgegründet, als dessen Präsident er gegenwärtig fungiert. Zudem ist er der Mitgründer und Chief Blockchain Officer von Motion Protocol, einem Unternehmen, das eine neue Infrastruktur für die Filmindustrie auf der Basis einer Blockchain etablieren möchte. In diesem Interview berichtet er davon, wie er die Erstellung und Verwertung von Filmen mit der Hilfe einer Blockchain neu strukturieren möchte.
Nico Kuhlmann: Lieber Florian, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst. Was ist Motion Protocol und welches Ziel verfolgt ihr damit?
Florian Glatz: Motion Protocol ist ein industriespezifisches Blockchain-Ökosystem für die Filmindustrie. Konkret haben wir ein Blockchain-Protokoll entwickelt, das besonders geeignet ist, um Transaktionen von Intellectual Property (IP) und Zahlungen von Lizenzgebühren auf allen Stufen der Filmwertschöpfungskette abzubilden. Auf dieser Basis wollen wir ein blockchain-basiertes Buchführungssystem für den Handel von Filmrechten und die Zahlung von IP-Nutzung für die Filmindustrie erschaffen.
Der konkrete Vorteil von diesem Ansatz ist mehr Transparenz für Filmschaffende, Rechteinhaber und Finanzierer, ein besserer Zugang zum globalen Lizenzhandel für Filmschaffende, die Möglichkeit einer direkten Vergütung von Rechteinhabern, die Ausschaltung überflüssiger Vermittler sowie letztlich die Ermöglichung neuer Geschäftsmodelle entlang der Wertschöpfungskette für Filme.
Nico Kuhlmann: Welche Aspekte der Erstellung und Verwertung von Filmen würde dieser Ansatz umfassen? Und wer würde alles daran partizipieren können?
Florian Glatz: Ziel ist es, den kompletten Lebenszyklus eines Films abbilden zu können. Begonnen bei der Idee, welche in Form eines Exposé beziehungsweise Treatments schon urheberrechtlichen Schutz genießen kann. Darin werden die Handlung und ihre Hintergründe ausformuliert und chronologisch gegliedert. In diesem Moment können wir für das IP-Asset “Film” schon einen eindeutigen Token im System registrieren, der dem Rechteinhaber zugeordnet ist. Im Wege der Filmfinanzierung können auf Grundlage dieser IP-Token so dann Crowdfunding-Modelle ermöglicht werden, insbesondere durch das neue Phänomen der Security Token Offerings (STO), wo digital verbriefte Partizipationsansprüche am zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg des Films an Investoren verkauft werden. Wir betrachten ein Filmprojekt wie ein kleines Startup – was der Realität recht nahe kommt.
Diesen neuartigen Ansatz der Filmfinanzierung halten wir insbesondere im Bereich der Gap-Finanzierung für sinnvoll. Dies sind Fälle der Vergabe von Mezzanine-Darlehen zur Zwischenfinanzierung. Diesbezüglich kommen Filmemacher heute häufig nur zu sehr schlechten Konditionen am Kapitalmarkt an Geld. Das Konzept der Security Token ermöglicht dann auch Crew-Mitglieder am langfristigen Erfolg des Projekts teilhaben zu lassen, als Teil der Kompensation ihrer Arbeit. Sobald ein Film in den Vertrieb geht, kann ganz transparent das als Token hinterlegte IP an dem Film an Distributoren und Verwerter unterlizenziert werden. Jede derartige IP-Transaktion löst eine entsprechende Tokentransaktion auf der Blockchain aus. Sobald der Film dann verwertet wird, sei es im Kino oder auf einer Streaming Plattform, sind die Wallet-Adressen der Rechteinhaber – dies ist das Äquivalent einer Kontonummer – schon auf der Blockchain gespeichert. Das ermöglicht die direkte Bezahlung der Urheber- und Leistungsschutzrechtsinhaber, sowie anderer Lizenzgeber und Investoren.
Nico Kuhlmann: Welche Probleme löst Ihr mit dieser Vorgehensweise? Was ist der Status Quo und was hat Dich daran gestört?
Florian Glatz: Heute weiß niemand, wem eigentlich welche Rechte an einem Film gehören. Deshalb ist der Markt im Bereich des Rechtehandels sehr intransparent. Diese Informationsasymmetrie geht häufig zu Lasten der Filmschaffenden. Die Ineffizienzen im Bereich des Clearings von Rechten sind allseits bekannt. Von einer direkten Bezahlung der Rechteinhabern durch Werknutzer kann man heute – trotz vorhandener digitaler Zahlungsinfrastruktur – nur träumen.
Nico Kuhlmann: Welche Voraussetzungen hat Eure Infrastruktur? Was müssen Unternehmen tun, um daran teilzunehmen?
Florian Glatz: Motion Protocol ist ein offenes System. Jeder kann mitmachen. Wir bieten Dienstleistungen rund um die Integration in unsere IT-Umgebung an. Wichtig ist, dass wir uns als “Blockchain 2.0” Projekt begreifen. Das heißt wir möchten aus den Fehlern und Kinderkrankheiten der letzten Jahre lernen. Die wichtigsten Learnings für uns sind, dass wir ein industriespezifische Blockchain-Netzwerk mit konkreten Use Cases und echtem Mehrwert aufbauen – keinen “Weltcomputer”.
Ebenso vermeiden wir den Aufbau eines neuen Datensilos: Motion Protocol ist mit den existierenden Blockchain-Ökosystemen dieser Welt verbunden. Vielleicht am wichtigsten ist, dass die Endnutzer von Diensten im Motion System keine Kryptowährungen benötigen. Die Transaktionsgebühren werden für die Nutzer durch die Dienste selbst erbracht, die diese nutzen. Nutzer können also wie gewohnt in staatlichen Währungen wie dem Euro bezahlen. Ebenfalls haben wir darauf geachtet, dass die Infrastruktur skalierbar und kostengünstig ist. Entscheidend ist auch, dass wir uns neben der reinen Protokollentwicklung auf den Aufbau eines Ökosystems von Anwendungen und Nutzern fokussiert haben. Statt eines Initial Coin Offering (ICO) wird das Protokoll zunächst durch Industrie-Stakeholder finanziert.
Nico Kuhlmann: Warum baut Ihr diese Blockchain-Infrastruktur gerade für die Filmindustrie? Was hat für diese und gegen andere Industrien gesprochen?
Florian Glatz: Als Urheberrechtler fasziniert mich das geistige Eigentum. Auch die Filmindustrie lebt von diesem Rechtsinstitut. Bei geistigem Eigentum handelt es sich im Zeitalter der Digitalisierung allerdings “nur” um Daten. Schon früh war die Filmindustrie deshalb mit den Folgen des digitalen Wandels konfrontiert: die geistigen Erzeugnisse sind seit der Verfügbarkeit von Breitbandinternet häufig Gegenstand von Piraterie im Netz. Völlig losgelöst davon, ist die Filmindustrie selbst aber ziemlich rückwärtsgewandt. Die Finanzierungs-, Produktions- und Distributionsinfrastuktur hat meiner Ansicht nach fast kartellartige Züge. Deutschland rühmt sich damit eines der weltweit größten staatlichen Finanzierungsvermögen für Filmproduktionen zur Verfügung zu stellen. Spricht man aber mit jungen Filmemachern hört man eine andere Geschichte: die Gelder wandern viel zu häufig an “etablierte” Produktionen und Stars aus der Szene, insbesondere auch amerikanische Co-Produktionen, weil dort der Return of Investment als gesichert gilt.
Mit Motion Protocol haben wir die Möglichkeit hier an den grundlegenden Stellschrauben des Systems zu drehen. In den letzten Jahren war die Aussage vieler Blockchain-Projekte, dass sie zentralisierte Systeme dezentralisieren wollen. Wir argumentieren genau andersherum. Wir möchten ein dezentrales System, nämlich den weltweiten Lizenzhandel, zentralisieren – auf der Buchführungsebene. Durch die Etablierung von Industriestandards in Form eines Computerprotokolls kann der Lizenzhandel nach wie vor peer-to-peer erfolgen, es wird aber jede Transaktion in einem gemeinsamen Ledger gespeichert, was letztlich dazu führt, dass man zu jedem Zeitpunkt einen Überblick darüber bekommen kann, wem welche Rechte an einem Film gehören. Da Blockchain-Systeme letztlich Geld beziehungsweise die Übermittlung von digitalen Werten und Assets als Kernfeature mit eingebaut haben, wird durch ein solches Rechteregister automatisch auch die direkte Bezahlung von Rechteinhabern möglich.
Nico Kuhlmann: Wie siehst Du Euer Konzept im Vergleich mit einer klassischen Verwertungsgesellschaft? Was könnt Ihr anbieten, was eine Verwertungsgesellschaft nicht kann?
Florian Glatz: Verwertungsgesellschaften sind aus Sicht der Digitalisierung Überreste einer analogen Welt, die im Grunde nicht messbar war. Sollte sich Motion Protocol als Industriestandard für die Transaktion von Nutzungsrechten an Filmen und medialen Inhalten etablieren, dann braucht es im Prinzip die Institution einer Verwertungsgesellschaft nicht mehr. An deren Stelle tritt ein dezentrales Protokoll, ein verteilter Ledger und eine Reihe von Legal-Tech-Tools als Management-Oberfläche. Ob sich diese Behauptung in ihrer Absolutheit so bewahrheiten wird, hängt am Ende davon ab, welchen echten Mehrwert eine Verwertungsgesellschaft für diejenigen liefert, deren Rechte sie wahrnimmt. Soweit Gesellschaften wie etwa die Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (VFF) auch Fördermittel aus ihren Erlösen bereitstellt, hat Motion Protocol eine äquivalente Funktion: derzeit werden 5% aller Block Rewards, die an Validatoren der Blockchain ausgeschüttet werden, in einem systemweiten Fonds gesammelt und dann auf Basis eines Konsens aller Netzwerkteilnehmer investiert, etwa in Filmförderung aber auch in infrastrukturelle Themen.
Nico Kuhlmann: Zum Schluss noch eine technische Frage: Euer Protokoll basiert auf Plasma, einer neuen Skalierungslösung für die Ethereum-Blockchain. Was sind die Vorteile dieses Ansatzes?
Florian Glatz: Die Plasma-Technologie ermöglicht uns, die beschriebenen Anforderungen an ein modernes, industrie-spezifisches Blockchain-Ökosystem zu erreichen. Dazu zählt insbesondere die Anbindung an existierende Blockchains, in unserem Fall Ethereum. Dies ist wiederum über verschiedene Brückendienste mit anderen Netzwerken verbunden. Hinzu kommt, dass Transaktionsgebühren auf Motion Protocol um den Faktor 1000 oder mehr günstiger sind als auf dem Ethereum Netzwerk. Ebenfalls erlaubt uns der Betrieb einer eigenen Sidechain die Etablierung unabhängiger Governance-Regeln, das heißt Regeln, die das Miteinander der Akteure in unserem System in Ausgleich bringen. Etwa welche Standards – auch IP-Standards – systemweit gelten, wie Gelder fließen und welche Gebühren erhoben werden. Mit am wichtigsten ist aber, dass das System trotzdem offen bleibt. Wir glauben nicht, dass die Zukunft von industriespezifischen Blockchain-Protokollen geschlossene Systeme, sogenannte private Blockchains sind. Vielmehr stellt die Offenheit über das Proof-of-Stake-Konsensverfahren sicher, dass es kein Gemauschel seitens der Betreiber der Blockchain gibt.
Nico Kuhlmann: Lieber Florian, vielen Dank für Deine Zeit. Weiterhin viel Erfolg für alle Deine Projekte.