Warum Legal Tech mehr ist als Jura und IT

von Samuel Ju

In der kommenden Woche findet in Berlin das Hacking Law Event statt. Juristen, Entwickler und Wissenschaftler treffen sich, um über den Hype “Legal Tech” nicht nur zu sprechen, sondern um in intensiven Hackathon-Sessions neue Legal Tech Lösungen zu entwickeln. Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass sich Juristen zwei Tage lang mit ITlern – sogar über Nacht – zusammensetzen, um gemeinsam etwas zu entwickeln. Legal Tech macht’s möglich.

Doch Legal Tech ist mehr als Jura und IT. In Gesprächen mit vielen Legal Tech Gründern ist mir persönlich aufgefallen, dass viele über die juristische Idee und über die technische Umsetzung sprechen, jedoch auch sehr viele keine konkrete Aussagen darüber geben konnten, wie genau das Geschäftsmodell für ihr Legal Tech Startup aussehen soll. Doch gerade dies ist für das langfristige Überleben eines Legal Tech Startups sehr wichtig, damit es nicht bloß ein Hobbyprojekt bleibt, sondern ein marktreifes Produkt werden kann. Was sollte neben der juristischen Idee und der technischen Umsetzung von Anfang an unbedingt mit berücksichtigt werden?

Klare Zielgruppendefinition

Man sollte sich fragen: An wen soll sich mein Angebot richten? Wen möchte ich mit meinem Legal Tech Produkt erreichen? Dass man in einem Startup ein “Minimum Viable Product” (MVP) klar definieren sollte, hat man sicherlich irgendwo gehört oder in einem nicht unbekannten Buch von einem gewissen Herrn Ries ausführlich gelesen. Doch noch davor sollte man sich sehr klar darüber werden, für wen man das Legal Tech Produkt entwickeln möchte. Vor dem MVP sollte man sich darauf konzentrieren, eine “Minimum Viable Audience” (MVA) aufzubauen, die auch bereit wäre, dieses zu entwickelnde Produkt zu nutzen und vor allen Dingen dafür auch zu bezahlen. Mit dieser Zielgruppe kann man dann im regelmäßigen Austausch das Produkt im Sinne dieser Zielgruppe kontinuierlich weiterentwickeln. Selbstverständlich kann man die Zielgruppe nachträglich erweitern oder ausbauen, aber zunächst einmal sollte man sich auf eine Zielgruppe konzentrieren.

Oftmals ist es bei digitalen Lösungen so, dass man sie sowohl im B2C oder aber im B2B-Bereich anbieten könnte. Doch es ist nach eigener Erfahrung überhaupt nicht zielführend, sich auf beide Bereiche zeitgleich konzentrieren zu wollen, da man als Startup in der Regel nur begrenzte Kapazitäten hat. Außerdem führt eine fehlende klare Zielgruppendefinition dazu, dass auf der technischen Seite keine konkrete Entwicklungsroadmap zustandekommt. In der Findungsphase macht es sicherlich Sinn, in vielen Gesprächen sowohl mit Endverbrauchern als auch mit Unternehmen zu analysieren, welche besser geeignet ist. Spätestens dann jedoch, wenn man sich an die Umsetzung des Produkts macht, sollte man sich für eine klare Zielgruppe entschieden haben.

Geschäftsmodell

Ein klares und überzeugendes Geschäftsmodell für sein Legal Tech Startup zu entwickeln stellt für viele Legal Tech Gründer eine echte Herausforderung dar. Vermehrt habe ich beobachtet, dass man einfach mal so damit angefangen hat, sich an die Entwicklung des Legal Tech Produkts zu machen, weil man die Idee spannend fand, ohne jedoch wirklich konkret vorher über das Geschäftsmodell nachgedacht zu haben.

Als Anwalt in einer Kanzlei hat man im Regelfall zwei verschiedene Geschäftsmodelle gut verkauft bekommen: entweder die Billable Hour oder aber man hat ein Cap mit dem Mandanten vereinbart. Am Ende ist es idealerweise so, dass man es vielleicht sogar geschafft hat, beides zu verkaufen, weil man noch mehr zusätzliche Beratungsdienstleistungen verkauft bekommen hat, als ursprünglich im Cap festgelegt. Doch diese Geschäftsmodelle lassen sich nicht einfach auf den Bereich Legal Tech übertragen.

Interessanterweise ist zu beobachten, dass unter den Legal Tech Gründern eine recht hohe Anzahl von Juristen mit einem MBA Abschluss zu finden ist. Dies kommt nicht von ungefähr. Denn zum einen wird man durch das Businessstudium “trainiert”, das “Geschäftsmodell” der Kanzlei zu hinterfragen und erkennt, dass es angreifbar ist. Zum anderen lernt man während eines MBA-Studium Menschen kennen, die ebenfalls lernen, bestehende Geschäftsmodelle zu hinterfragen und zudem einen Abschluss in einem anderen Studienfach haben, beispielsweise Informatik. Die Gründer von Juro beispielsweise haben sich auf der INSEAD kennen gelernt – einer Jurist und der andere ein Informatiker und beide haben sich durch das MBA-Studium Businesskompetenz angeeignet und gelernt, “in Geschäftsmodellen zu denken”. Das Geschäftsmodell von Juro ist sehr gut durchdacht und hat dazu geführt, dass sogar renommierte VCs und Angel Investoren sich an dem Startup beteiligt haben.

Doch auch ein MBA-Abschluss allein reicht nicht, um für sein Legal Tech Startup ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Theorie und Praxis gehen in vielen Fällen sehr weit auseinander. Es ist wichtig, dass man lernt und übt, generell in Geschäftsmodellen zu denken. Dies kann man beispielsweise tun, indem man regelmäßig News über andere Startups – auch ruhig aus anderen Bereichen wie eCommerce, Software-as-a-Service, Fintech, Insurtech etc. mitverfolgt und die Geschäftsmodelle dieser Startups einmal versucht, durchzudeklinieren. Zu empfehlen sind hier insbesondere die Seiten www.gruenderszene.de, www.deutsche-startups.de und im englischsprachigen Raum www.techcrunch.com. In einem der nächsten Artikel werden wir konkrete Geschäftsmodelle anhand einiger Startup-Beispiele vorstellen.

Fazit

Eine klare Zielgruppendefinition und ein gut und von Anfang bis zum Ende durchdachtes Geschäftsmodell sind unabdinglich, wenn man mit seinem Legal Tech Startup wirklich langfristig Erfolg haben möchte. Selbst wenn man diese beiden Voraussetzungen erfüllt, ist es nicht einfach, das Produkt zur Marktreife zu bringen und auf dem Markt zu etablieren. Doch die Chancen steigen ungemein. Ich wünsche mir, dass im Jahr 2017 im Legal Tech Bereich zahlreiche Startups entstehen, die sich mit einem klaren Geschäftsmodell auf dem Markt etablieren.