Bundestag: Keine Einigkeit über Legal Tech im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Um die Modernisierung des Rechtsdienstleistungsrechts und die Stärkung der Anwaltschaft ging es bei einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch. Acht Sachverständige äußerten sich in der vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Herbert Hirte (CDU) geleiteten Sitzung zu einem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion und einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Die Liberalen stellen in ihrer Vorlage fest, dass Rechtsanwälte seit jeher allen Bürgern den Zugang zum Recht gewährleisten. Gleichzeitig hätten sich in den letzten Jahren neue Unternehmensformen der Rechtsberatung etabliert. Um diesen neuen Sektor rechtsberatender Dienstleistungen, in erster Linie sogenannte Legal-Tech-Anwendungen, nicht einem Feld von gerichtlichen Einzelfallentscheidungen zu überlassen, müsse der Gesetzgeber tätig werden. Insbesondere die Digitalisierung der Rechtslandschaft verlange zügig Regelungen, die die Automatisierung von Rechtsdienstleistungen zum Inhalt haben.

Die Grünen setzen sich in ihrem Antrag dafür ein, die Anwaltschaft unter anderem durch eine angemessene Erhöhung der Rechtsanwaltsgebühren zu stärken. Der Bundestag solle die Bundesregierung auffordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Vereinbarung von Erfolgshonoraren bis zu einem bestimmten Streitwert zulässt, und zu prüfen, inwiefern in Einzelfällen eine Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung sinnvoll und angemessen sein kann. Damit solle langfristig ein fairer Wettbewerb zwischen Anwaltschaft und nichtanwaltlichen Dienstleistern gewährleistet werden.

Daniel Halmer, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der LexFox GmbH (wenigermiete.de), begrüßte den Gesetzentwurf der FDP. Sein Legal-Tech-Unternehmen war Gegenstand eines Grundsatzurteils des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27. November 2019. Dieses habe, so Halmer in seiner Stellungnahme, Rechtssicherheit dahingehend gebracht, dass der Inkassobegriff im Zweifel liberal auszulegen sei, und damit einer ganzen Reihe von möglichen Anwendungsbereichen im Verbraucher-Legal-Tech den Weg bereitet. Indem “digitale” Unternehmen zur Rechtsdurchsetzung die Hindernisse beseitigten oder zumindest abmilderten, die Verbraucher von der Inanspruchnahme ihrer Rechte abhielten, spielten sie zunehmend eine elementare Rolle in der Rechtspflege und sollten als integraler Bestandteil des modernen Rechtsstaates verstanden und anerkannt werden, sagte Halmer. Der Antrag der Grünen umfasse die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der notwendigen Reform der Regulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes.

Der Berliner Rechtsanwalt und Mediator Markus Hartung erklärte, am FDP-Vorschlag sei anzuerkennen, dass er eminent wichtige Fragen des künftigen Systems der Rechtspflege, insbesondere der Befugnisse nichtanwaltlicher Dienstleister, auf die parlamentarische Tagesordnung bringt und zu einer Diskussion darüber zwingt. Allerdings wiesen die von der FDP vorgeschlagenen Regelungen Defizite auf und seien für eine konsistente und nachhaltige Reform nicht geeignet. Die Initiative der Grünen sei zu begrüßen, weil alle vorgeschlagenen Punkte auf eine sinnvolle Stärkung der Anwaltschaft hinausliefen. Hartung plädierte dafür, das System der Rechtshilfe für Verbraucher und Unternehmen, insbesondere das Verhältnis zwischen anwaltlichen und nichtanwaltlichen Dienstleistern, auf mittlere Sicht neu auszubalancieren.

André Haug, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), verwies auf eine Stellungnahme der BRAK, in der reine Kapitalbeteiligungen an anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften mit dem Ziel, alternative Finanzierungswege insbesondere zur Finanzierung von Legal Tech zu erlauben, nachdrücklich abgelehnt werden. Für solche Fremdkapitalgeber werde keine Notwendigkeit gesehen. In der Praxis bestünden ausreichende alternative Möglichkeiten, Finanzierungen einzuholen. Wirtschaftliche Interessen dürften unter keinen Umständen den Mandanteninteressen vorgehen. Die anwaltliche Unabhängigkeit müsse uneingeschränkt unangetastet bleiben. Eine gesetzgeberische Bevorzugung von Kanzleien, die sich mit Legal-Tech-Anwendungen befassen gegenüber Berufsträgern, die aus anderen Gründen Kapitalbedarf haben, wäre verfassungsrechtlich kaum haltbar.

Birte Lorenzen, Rechtsanwältin aus Hamburg, sieht wie ihre Berliner Kollegin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, den Zugang zum Recht durch die vorgeschlagenen Neuerungen erheblich erschwert. Bei der derzeitigen Entwicklung in der Rechtsprechung und auch des Vorstoßes der FDP drohten die bisherigen Grundprinzipien im Bereich Rechtsdienstleistungen in ihr Gegenteil verkehrt zu werden, erklärte Lorenzen in ihrer Stellungnahme. Den Befürwortern einer Öffnung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) für Legal-Tech gehe es nicht um den Rechtsstaat, sondern um Geschäftsinteressen von diversen Unternehmen, die sich neue Geschäftsfelder zu erschließen hofften. Das BGH-Urteil zu wenigermiete.de habe aus der Rechtswissenschaft bereits erhebliche und sehr berechtigte Kritik erfahren, erklärte Lorenzen. Es dürfte damit auch in der Rechtsprechung spannend zu dieser Frage bleiben. Eine Anpassung der Gebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes sei allerdings überfällig und werde nachdrücklich befürwortet.

Florian Stößel vom Verbraucherzentrale Bundesverband plädierte dafür, die Lösung für Defizite bei der Durchsetzung von Verbraucherrecht in verfahrensrechtlichen Regelungen zu suchen, die eine Vollkompensation ermöglichen und dem Verbraucher den gesamten ihm zustehenden Betrag zukommen lassen. Der Gesetzgeber sollte deshalb vornehmlich die individuellen und kollektiven Regeln zur Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung anpassen, anstatt vorschnell dem Ruf nach einer Deregulierung der Rechtsberatung zu folgen. Eine solche Deregulierung sei für eine Nutzbarmachung der Möglichkeiten von Legal Tech auch nicht erforderlich. Die derzeitige Ausgestaltung von Legal-Tech-Angeboten – Abtretungsmodelle unter Nutzung einer Inkassolizenz – sei für das eigentliche Tätigkeitsbild nicht ansatzweise ausreichend geregelt, bemängelte Stößel.

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Dirk Uwer erklärte, der Gesetzentwurf der FDP und die Initiative der Grünen reflektierten digitalisierungsbedingte Umwälzungen auf den Rechtsdienstleistungsmärkten, mit denen die Entwicklung der regulatorischen Rahmenbedingungen bislang nicht mitgehalten habe. Das Ziel beider Vorschläge, das Rechtsdienstleistungs- und das anwaltliche Berufsrecht zumindest in einigen zentralen Teilen an die Wirklichkeit heranzuführen, sei zu begrüßen. Die Anwaltschaft könne unter unveränderten berufsrechtlichen Rahmenbedingungen für den rational desinteressierten Verbraucher in etlichen Beratungsbereichen keine effektiven Rechtsschutzangebote unterbreiten. In diese Lücke seien Legal-Tech-Anbieter gestoßen.

Nach Meinung von Christian Wolf von der Leibniz Universität Hannover greift der FDP-Vorschlag schwerwiegend in den Schutzbereich des RDG ein. Die Regelung lade zur Umgehung des anwaltlichen Berufsrechts ein und stelle nicht sicher, dass die Rechtsberatung hinreichend qualifiziert erfolgt. Das in beiden Vorlagen vorgesehene Erfolgshonorar, wonach der Rechtsanwalt die Verfahrenskosten trägt, habe zur Konsequenz, dass der Anwalt auf dieser Basis nur Verfahren mit sehr hoher Erfolgswahrscheinlichkeit führt. Im Gegensatz hierzu lägen die Anforderungen, die der Staat an die Gewährung von Prozesskostenhilfe stellt, deutlich niedriger. Das Erfolgshonorar werde den Zugang zum Recht nicht erleichtern.

Quelle: Deutscher Bundestag, Parlamentsnachrichten