Legal Tech-Unternehmen attraktiver als Großkanzlei? – Der Wechsel von Latham-Partner Marcus Funke zum Consumer Claims Purchasing-Unternehmen RightNow (Teil 2)

Nach mehr als siebzehn Jahren als Rechtsanwalt in internationalen Großkanzleien und fast einer Dekade als Partner bei Latham & Watkins in Frankfurt verstärkt Prof. Dr. Marcus C. Funke, LL.M. (Chicago) seit April 2020 das Management der RightNow Group. Ein Wechsel, der sinnbildlich für die zunehmende Bedeutung von innovativen Geschäftsmodellen im Rechtsdienstleistungsmarkt und in unserem Rechtssystem steht. (Fortsetzung – hier geht’s zu Teil 1)

Marcus, welche Rolle spielen Legal Tech-Unternehmen aus Deiner Sicht als langjähriger Großkanzleianwalt für den deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt bzw. für unser Rechtssystem und welches Potential steckt in ihnen?

Marcus Funke: Ich denke, dass die klassische juristische Arbeit nicht in Stein gemeißelt ist. Als Partner bei Latham & Watkins habe ich gerade über die letzten Jahre immer mehr an Technologiethemen gearbeitet und mich etwa mit aktuellen Entwicklungen von FinTech Themen auseinandergesetzt. Dabei habe ich festgestellt, dass der Nutzen von Technologie enorm ist und wir schauen sollten, welche Vorteile wir aus innovativen Angeboten und dem Einsatz von Technologie etwa in der anwaltlichen Tätigkeit, der Justiz und für unser Rechtssystem als Ganzes ziehen können. Beispielsweise durch Standardisierung und Automatisierung sonst langwieriger Prozesse können enorme Effizienzgewinne erzielt werden. 

Außerdem können wir als Legal Tech-Unternehmen unsere Angebote flexibel an die aktuellen Bedürfnisse unserer Kunden anpassen und schnell auf Feedback reagieren. Unter dem Stickwort Access to Justice schließen wir durchaus Rechtsschutzlücken für Rechtssuchende. Darin liegt sowohl ein enormes Potential als auch ein großer Mehrwert für den deutschen Rechtsmarkt wie auch unser Rechtssystem.

Schließlich gebietet der Ernst der Lage, auch auf die aktuelle Covid 19-Krise einzugehen. Zur Unterstützung von Reisenden, die ihre Flugreisen nicht antreten konnten, hat RightNow die Erstattung der Reisekosten bis zum 30. April 2020 sogar komplett kostenfrei übernommen. Was hat Euch hierzu bewogen?

Benedikt Quarch: Die aktuelle Krise ist für uns alle schwer – für Unternehmen wie auch für Verbraucherinnen und Verbraucher, die etwa eine bezahlte Reise nicht antreten können. Wir sind der Überzeugung, dass unsere Unterstützung für Rechtssuchende jetzt nicht nachlassen darf. Auch wenn sich Reiseunternehmen in finanzieller Not befinden, muss derjenige, der einen Anspruch gegen sie hat, diesen auch verwirklichen können.

Der gesamte Reisemarkt wird krisenbedingt gerade ziemlich durchgeschüttelt. Auch große Fluggesellschaften wie die Lufthansa gehen nicht davon aus, dass sie die Krise ohne Staatshilfen überstehen werden. Hat sich dadurch nicht etwas an der ursprünglichen Asymmetrie der Kräfteverhältnisse zwischen Fluggesellschaften und Verbrauchern verändert, auf der Euer Geschäftsmodell beruht?

Benedikt Quarch: Was man auf der einen Seite bedenken muss, ist ganz klar: Fluggesellschaften sind infrastrukturell für den Staat höchst relevante Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern. Daher muss der Staat ein Interesse haben, sie zu stabilisieren, wenn sie in finanzielle Not geraten. Auf der anderen Seite stehen die Verbraucherinnen und Verbraucher, die teils große Summen für Reisen ausgegeben haben, die nun abgesagt wurden – sollen sie völlig leer ausgehen? Das kann auch keine Lösung sein. 

Die Bundesregierung hat zur Auflösung dieses Konflikts eine sogenannte Gutscheinlösung vorgeschlagen, wonach Reisende, deren Flüge gestrichen bzw. deren Reisen abgesagt wurden, keine Rückzahlung, sondern einen Gutschein erhalten sollen, mit dem sie ihre Reise später nachholen können. Aufgrund der bisher klaren Rechtslage im EU-Recht lehnt die Europäische Kommission diesen Vorschlag jedoch ab. Danach gilt: Gesetzlich verpflichtend ist eine Rückzahlung in Geld – und kein Gutschein! 

Nicht nur die Politik tut sich schwer, zwischen den hier kollidierenden Interessen zu vermitteln. Auch für uns als Verbraucherschützer schlagen mit Blick auf die aktuelle Krise mehrere Herzen in unserer Brust. Wir müssen die Tragweite der Auswirkungen der Krise für die Fluggesellschaften und deren Mitarbeiter bedenken. Auf der anderen Seite haben aber auch Verbraucher einen Geldbedarf, dem – gerade bei teuren Pauschalreisen – durch die bisherige Regelung, die einen Rückzahlungsanspruch vorsieht, genau Rechnung getragen werden soll. Zuletzt müssen wir auch beachten, dass Fluggesellschaften für RightNow überlebensnotwendig sind. Deren Insolvenz hätten große Auswirkungen auf uns, da wir zahlreiche Forderungen gegen sie in unseren Büchern stehen haben.

Dennoch haben wir uns entschieden, unserer Unternehmensmission getreu weiter für die Durchsetzung der Verbraucherrechte einzustehen. Das entspricht  auch der geltenden Rechtslage, wonach Kunden die Rückzahlung in Geld zusteht. Wir sehen auch andere Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Finanzierung zu sichern. Das muss nicht zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher geschehen. Beispielsweise könnten Fluggesellschaften wie schon in früheren Krisen, etwa nach dem 11. September 2001, Liquidität generieren, indem sie flexible Tickets für die nächsten Jahre zu guten Konditionen anbieten. Staatshilfe erscheint darüber hinaus auch legitim, aber immer subsidiär.

Auch muss man zwischen den einzelnen Fluggesellschaften differenzieren und genau hinsehen: Etwa blockt Ryanair seine Kunden damit ab, ihre Rückerstattungsbegehren derzeit nicht bearbeiten zu können. Das ist aber nicht auf Liquiditätsengpässe zurückzuführen, wie sich aus den Cashreserven in Höhe von 3,8 Milliarden Euro ergibt. Hier besteht die alte Asymmetrie fort. Man muss also immer genau hinterfragen, warum nicht gezahlt wird.

Manche halten Legal Tech-Unternehmen und ganz konkret Euch vor, dass ihr zu den Profiteuren der aktuellen Krise gehört. Wie geht Ihr damit um?

Benedikt Quarch: Richtig ist schon mal, dass wir im April einen Anstieg an Anfragen um bis zu 600 % verzeichnen konnten. Das war unser bisheriger Rekordmonat. Insofern liegt eine Rolle als Profiteur nahe. Allerdings kann man aus dem Anstieg der Anfragen noch nicht direkt einen Umsatznstieg ableiten, da wir mit unserem Consumer Claims Purchasing-Modell ja die Ansprüche unserer Kunden sofort ankaufen und das Geld auszahlen. Wir müssen die erworbenen Forderungen aber auch durchsetzen, was aufgrund stillstehender Gerichte und teilweise in ihrer Zahlungsfähigkeit bedrohter Fluggesellschaften nicht leichter wird als unter Normalbedingungen. Der Monat verspricht also sehr erfolgreich zu sein, ist aber zugleich auch verstärkt risikobehaftet.

Dessen ungeachtet gilt: Wir wollen die Durchsetzung der Verbraucherrechte stärken wie sonst auch. Dabei stellt uns – wie viele andere – die derzeitige Krise vor besondere Herausforderungen. Wir merken aber auch, dass wir für unsere Kunden einen großen Mehrwert stiften, was uns sehr freut und weiter antreibt.

Allgemein hat der Legal Tech-Markt aktuell den Vorteil, dass hier Rechtssuchenden auch unabhängig von Gerichten im Notbetrieb oder Rechtsanwälten, deren Büros geschlossen sind, weitergeholfen werden kann. Vor dem Hintergrund würde ich sagen, dass – bei allen negativen Folgen – die Krise den Wert innovativer Legal Tech-Angebote unterstreicht. Hier findet man auch in Krisenzeiten unmittelbar Zugang zum Recht und das ohne langwierige Verfahren, physische Anwesenheit beim Anwalt oder vor Gericht usw. Das zeigt für uns auch, dass noch mehr Verbraucherrechte so abgebildet werden müssen. Daher weiten wir unsere Angebote aus.

Wo wir nach der Krise stehen könnten und welche Lehren wir aus dieser Zeit ziehen, ist derzeit eine viel diskutierte Frage. Benedikt, warum spielen für Euch dabei Online-Gerichtsverfahren eine so wichtige Rolle?

Benedikt Quarch: Zunächst erleben wir momentan, dass die Justiz, die immer noch fast ausnahmslos auf physische Anwesenheit im Gerichtssaal setzt, derzeit schwer ins Stocken gekommen ist und nur im Notbetrieb läuft. Es bleiben Verfahren liegen, wodurch auch die Rechtssuchenden kaum mehr eine Chance haben, Recht zu bekommen. Nachdenklich macht mich dabei, dass das Gesetz in § 128a ZPO bereits eine Möglichkeit vorsieht, Verfahren digitaler zu gestalten. Die technischen Voraussetzungen zur tatsächlichen Wahrnehmung dieser Möglichkeit sind aber weder in der Justiz noch bei den meisten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ausreichend gegeben.

Ein erster Schritt könnte daher sein, bei Gericht und den Anwälten die technischen Voraussetzungen zu schaffen, um die de lege lata bereits bestehenden Möglichkeiten auch tatsächlich nutzen zu können. Außerdem sollten wir keine Scheu haben, darüber zu diskutieren, inwieweit Gerichtsverfahren digital ohne physische Anwesenheit abgehalten werden können. Das kann einmal vor dem Hintergrund von Infektionsgefahren und Ausnahmesituationen geschehen, andererseits könnte aber auch eine allgemeine Effizienzsteigerung der Justiz durch verstärkt digitale Verfahren erwogen werden. Gerade unsere Angebote bei RightNow und der aktuelle Anstieg an Kundenanfragen zeigen ja, dass bei Rechtssuchenden danach ein konkretes Bedürfnis besteht.

Natürlich ist Effizienz kein Selbstzweck und muss mit anderen Interessen und Rechten der Richterinnen und Richter sowie der sonstigen Verfahrensbeteiligten in Einklang gebracht werden. Ferner müssen Gerichtsverfahren weiterhin auch rechtsstaatlichen Anforderungen genügen, was insbesondere mit Blick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz gar nicht einfach scheint. Dennoch lädt die aktuelle Situation dazu ein, eine Diskussion zu starten und auch radikal erscheinende Vorschläge wie den der Landesarbeitsgerichte zu „Online Courts“ ernsthaft zu diskutieren. Einen großen Schritt ist beispielsweise Estland gegangen, wo automatisierte Verfahren bereits in der Testphase sind.

Dass man letztlich einen extremen Vorstoß auch in Deutschland wagen muss, will ich gar nicht abschließend behaupten. Aber eine ergebnisoffene Diskussion muss es geben, wobei wir von § 128a ZPO ausgehend auch weitere Szenarien durchspielen sollten. Einen Blick nach Estland dürfen wir dabei keinesfalls scheuen, sondern sollten die Entwicklung dort vielmehr gespannt beobachten.

Alles weitere wird man abwarten müssen. Liest man aber die Geschichten erfolgreicher Legal Tech-Unternehmen und beobachtet die aktuelle Debatte zur Funktionsfähigkeit der Justiz und in diesem Zuge auch zu Online-Gerichtsverhandlungen, bleibt es spannend. Lieber Marcus, lieber Benedikt, vielen Dank für das Gespräch!

Autor: Mike Fecke