Heute, am 25. Juni 2021, passierte das mit Spannung erwartete Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt, auch „Legal Tech-Gesetz“ genannt, erfolgreich den Bundesrat und wird wohl am 01. Oktober dieses Jahres in Kraft treten. Unumstritten ist das Gesetz, das der Anpassung des Rechtsdienstleistungsrechts aufgrund der technologiegetriebenen Entwicklungen im Rechtsmarkt dient, nicht. Während manche Jurist*innen die Lauterkeit des etablierten Rechtsdienstleistungsmarktes gefährdet sehen und eine Kommerzialisierung des Rechts befürchten, begrüßen andere Expert*innen – wie der von uns zu diesem Thema befragte Legal Tech-Unternehmer Dr. Benedikt M. Quarch – den gesetzgeberischen Vorstoß, bemängeln jedoch zugleich, dass das neue Gesetz zu kurz greife.
Warum das Gesetz entstand
Auslöser des neuen Gesetzes war das Urteil des Bundesgerichtshofs zum Legal Tech-Anbieter wenigermiete.de aus dem Jahr 2019. Der BGH hatte dem Anbieter erlaubt, bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars und ohne Kostenrisiko für die Kundschaft durch Finanzierung der Verfahrenskosten, Ansprüche aus der Mietpreisbremse als Inkassodienstleister geltend zu machen. Aus dem Urteil ergab sich somit eine Gestattung von umfassenden Rechtsdienstleistungen im Rahmen des Inkassos, wenn diese für Rechtssuchende sinnvoll sind.
Im Vordergrund der gesetzgeberischen Intention hinter dem Gesetzentwurf steht der Begriff der Kohärenz. Durch eine Abschwächung der Widersprüche zwischen dem Inkassorecht des RDG und dem Anwaltsrecht der BRAO und des RVG soll mehr Chancengleichheit zwischen Legal Tech-Anbietern und der Anwaltschaft hergestellt werden. Von der beiderseitigen Anpassung des anwaltlichen Berufs- und Vergütungsrechts an das Recht der Inkassodienstleister wird die Entstehung eines kohärenten Regulierungssystems für Rechtsdienstleistungen anwaltlicher und nicht-anwaltlicher Anbieter bezweckt.
Dabei ist die Bezeichnung des Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt als „Legal Tech-Gesetz“ irreführend, denn betroffen sind lediglich solche nicht-anwaltliche Dienstleister, die ihr Geschäft auf Inkassodienstleistungen ausgerichtet haben. Das neue Gesetz ist also eher als „Legal Tech-Inkasso-Gesetz“ zu bezeichnen.
Was das neue Gesetz ändert
Während Legal Tech-Anbieter Erfolgshonorare vereinbaren dürfen, war dies der Anwaltschaft bislang verboten. Eine der wichtigsten Neuerungen im heute vom Bundesrat verabschiedeten Gesetz ist daher die Zulässigkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren für die Anwaltschaft. Nun darf ein Erfolgshonorar vereinbart werden, wenn sich der Auftrag auf eine pfändbare Geldforderung von höchstens 2.000 € bezieht, eine Inkassodienstleistung nur außergerichtlich, im Mahn- oder Zwangsvollstreckungsverfahren erbracht wird oder der Auftraggeber im Einzelfall ohne die Vereinbarung eines Erfolgshonorars von der Rechtsverfolgung abgehalten würde. Ansonsten darf nur dann vereinbart werden, dass für den Fall des Misserfolgs keine oder eine geringere als die gesetzliche Vergütung zu zahlen ist, wenn für den Erfolgsfall ein angemessener Zuschlag auf die gesetzliche Vergütung vereinbart wird.
Neben der Möglichkeit der Vereinbarung von Erfolgshonoraren für die Anwaltschaft war insbesondere eine Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung ein maßgeblicher Bestandteil der Diskussionen rund um die Verabschiedung des Gesetzes. Der Anwaltschaft ist es nämlich – im Gegensatz zu Legal Tech-Anbietern – bislang verboten, die Verfahren für ihre Kundschaft so zu finanzieren, dass diese keine Kostenrisiken tragen muss. Eine wesentliche Lockerung des Verbots der Prozessfinanzierung konnte sich im Gesetzgebungsprozess jedoch nicht durchsetzen. Allein im außergerichtlichen Inkasso, im gerichtlichen Mahn- oder Zwangsvollstreckungsverfahren oder bei Aufträgen in Bezug auf Geldforderungen bis zu 2.000 € wird eine Prozessfinanzierung durch die Rechtsanwaltschaft ermöglicht.
Hinter den Obergrenzen von 2.000 € steht der Gedanke, dass bei Forderungen bis zu dieser Höhe ein „rationales Desinteresse“ von Verbraucher*innen bestehe, einen Prozess zu deren Geltendmachung zu führen. Verbraucher*innen wüssten, dass sich angesichts der Prozessrisiken bei solchen Summen das Streiten nicht lohne. Daher seien Angebote ohne Kostenrisiken in diesem Rahmen sinnvoll.
Spiegelbildlich zur Lockerung der Regulierung der Anwaltschaft, zieht das Gesetz die Regeln für nicht-anwaltliche Dienstleister an. Um einen verbesserten Verbraucherschutz zu bewirken, gelten insbesondere verschärfte Informationspflichten für Inkassodienstleister, die für Verbraucher*innen tätig werden. Informiert werden muss über alternative Durchsetzungsmöglichkeiten der Forderung, die genauen Modalitäten der Vergütung des Dienstleisters, eventuelle Kosten der Rechtsdurchsetzung und deren Erfolgsaussichten, etwaige Beteiligungen von Prozessfinanzierern, die Möglichkeiten, Voraussetzungen und Auswirkungen eines Vergleichs mit dem*der Schuldner*in und die Erreichbarkeit der für den Inkassodienstleister zuständigen Aufsichtsbehörde. Zudem muss ein Inkassodienstleister, der nicht für den*die Verbraucher*in tätig werden will, ihm*ihr die hierfür wesentlichen Gründe mitteilen sowie darauf hinweisen, ob eine rechtliche Prüfung stattgefunden hat und ob diese automatisiert vorgenommen wurde. Die Mitteilung ist mit einem Hinweis zu versehen, dass die Ablehnung der Tätigkeit andere Möglichkeiten zur Durchsetzung der Forderung unberührt lässt.
Kritik am Gesetz
Das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt wurde und wird vielfach kritisiert. Die BRAK weist auf die massiven Auswirkungen des Gesetzes auf die Rolle der Anwaltschaft und damit auf den Rechtsstaat insgesamt hin. Der Ansatz, einen sich unterhalb der Anwaltschaft etablierenden Rechtsdienstleistungsmarkt weiter zu fördern, wird abgelehnt. Dem neuen Gesetz wird vorgeworfen, unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes bloße Geschäftsinteressen der Legal Tech-Unternehmerschaft zu fördern. Es sei eine Kommerzialisierung des Rechts zu befürchten.
Darüber hinaus seien die Befugnisse für Inkassounternehmen zu weit gefasst. Es werde ein unbegrenzter Zugang für Legal Tech-Inkasso-Dienstleister zum Rechtsdienstleistungsmarkt eröffnet. Diesem Vorwurf wird entgegengehalten, dass der Inkassobegriff des neuen Gesetzes jedenfalls restriktiver sei als derjenige, den die Rechtsprechung bislang zugrunde legte. Auch wurde ein teilweises Misstrauen gegenüber Legal Tech-Angeboten im Diskurs um das neue Gesetz sichtbar: Es wurde behauptet, dass das Geschäftsmodell der Legal Tech-Anbieter unlauter sei, da die Kundschaft um die Durchsetzung ihrer vollen Ansprüche gebracht werde, wenn Erfolgshonorare vereinbart werden.
Dem steht das Argument des „rationalen Desinteresses“ entgegen, wonach sich Verbraucher*innen bei relativ geringen Forderungen angesichts etwaiger Kostenrisiken vor der konventionellen Rechtsdurchsetzung scheuten. Die Geschäftsmodelle vieler Legal Tech-Anbieter richteten sich aber gerade gegen dieses Problem.
Der Deutsche Anwaltverein hält die Grundidee des Gesetzes für berechtigt. Es greife aber zu kurz. Es könne nicht sein, dass Verbraucher*innen ihre Rechte nur durchsetzen können, wenn sie etwas beisteuern.
Der Legal Tech Verband Deutschland begrüßt das Reformvorhaben, ein faires Spielfeld zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Rechtsdienstleistungen zu etablieren. Das neue Gesetz mildere die nach dem BGH-Urteil zu wenigermiete.de entstandene Rechtsunsicherheit für Legal Tech-Inkassodienstleister. Das Gesetz stelle endlich klar, dass Ansprüche von Geschädigten gebündelt, finanziert und solche Geschäftsmodelle nicht auf die außergerichtliche Durchsetzung von Forderungen beschränkt werden dürfen. Zudem würden Wettbewerbsnachteile der Rechtsanwaltschaft gegenüber anderen Rechtsdienstleistern, die keinen vergleichbaren berufsrechtlichen Restriktionen unterliegen, beseitigt.
Was ein Legal Tech-Unternehmer zum neuen Gesetz sagt
Dr. Benedikt M. Quarch, Mitgründer und Managing Director des Legal Tech-Unternehmens RightNow Group, das Erstattungsansprüche von Verbraucher*innen aufkauft, um diese gebündelt durchzusetzen, ist grundsätzlich erfreut über den Vorstoß des Gesetzgebers. Er hält das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt für einen guten ersten Schritt.
„Endlich gibt es ein bisschen Klarheit vom Gesetzgeber!“
Das Ende der legislativen Fahnenstange in diesem Bereich sei jedoch noch lange nicht erreicht. Der sich weiterentwickelnde Markt der Rechtsdienstleistungen bedürfe noch einige Reformschritte von Seiten des Gesetzgebers, so Dr. Quarch. „Deutschland hat das Thema Legal Tech politisch erkannt. Das ist positiv. Es wurde sich aber nicht getraut, den großen Wurf zu landen.“
Laut Dr. Quarch hätten Deutschland und die Europäische Union, die bei der Entwicklung zahlreicher anderer Innovationen international abgehängt sind, im Bereich Legal Tech das Potenzial, weltweit die Nase vorn zu haben. Diese Chance solle politisch erkannt und gut genutzt werden, um Vorreiter in Sachen Legal Tech zu werden. Dafür schlägt Dr. Quarch vor, das Monopol der Anwaltschaft auf dem Gebiet der Rechtsdienstleistungen und das etablierte System des RDG abzuschaffen, um die anwaltliche und nicht-anwaltliche Rechtsdienstleistung auf eine Augenhöhe zu bringen. Mit der Bevorzugung einer bestimmten Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung sei niemandem gedient.
„Der Anwalt sollte keine herausgehobene Persönlichkeit, sondern ein gleichberechtigter Player auf dem Spielfeld der Rechtsdienstleistung sein.“
Am Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt selbst kritisiert Dr. Quarch insbesondere die Wirkung der Registrierung von Legal Tech-Inkassodienstleistern. Die Registrierung bei der zuständigen Aufsichtsbehörde entfalte nämlich keine bindende Wirkung vor den Zivilgerichten. Diese könnten trotz fehlender aufsichtsbehörlicher Beanstandung der Tätigkeit des Rechtsdienstleisters weiterhin feststellen, dass die konkrete Tätigkeit des Dienstleisters keine Inkassodienstleistung darstellt und somit eine Abtretung der Forderung des*der Verbraucher*in an den Dienstleister unwirksam ist. Zwar schaffe der Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz klarere Konturen, doch gesetzlich werde nicht sichergestellt, dass die Tätigkeit registrierter Inkassodienstleister auch vor Gericht immer Bestand haben. Mithin verbleibe eine gewisse Rechtsunsicherheit für entsprechende Legal Tech-Anbieter.
„Mit dem neuen Gesetz hat der Gesetzgeber zwar eine Richtungsentscheidung getroffen, die weitere Arbeit wurde jedoch wieder den Gerichten überlassen.“
Wie es weitergeht
Angesichts der stetigen Weiterentwicklung des Legal Tech-Marktes zeigt sich Dr. Quarch zuversichtlich, dass die Legislative diesen wachsenden Markt weiterhin anerkennt und gesetzgeberisch aktiv wird. Für die Zukunft wünscht er sich eine Qualitätskontrolle von alternativen Rechtsdienstleistern durch eine zentrale Kontrollbehörde, die qualitativ mit der von Anwält*innen mithalten kann. Dafür sei die für das Jahr 2022 anberaumte Evaluation des „Legal Tech-Gesetzes“ schon mal gut.
Wann und in welcher Weise sich der Gesetzgeber der Regulierung von Legal Tech wieder annimmt, bleibt abzuwarten. Spannend bleibt es allemal, da die harte Konkurrenz zwischen der Anwaltschaft und den Legal Tech-Anbietern weitergeht.
Wir danken Dr. Benedikt M. Quarch für seine Mitwirkung an diesem Beitrag.
Autor: E. Jakob