Peters, Schönberger & Partner (PSP) ist eine renommierte Kanzlei in München mit 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Dr. Axel Wagner ist Partner bei PSP und berichtet im Interview mit dem Legal Blog darüber, welche Legal Tech Lösungen bei PSP bereits jetzt zum Einsatz kommen, wie mittelständische Kanzleien Legal Tech sinnvoll einsetzen können und wie er die Zukunft im Verhältnis Anwalt – Legal Tech sieht.
Legal Tech Blog: Welche Ausprägungen von Legal Tech sind für mittelständisch geprägte Kanzleien wie PSP relevant?
Dr. Axel Wagner: Mittelständisch geprägte Kanzleien zeichnen sich typischerweise durch schwer standardisierbare Aufgabenstellungen aus. Weder werden hier im Rahmen einer Due-Diligence-Prüfung – wie bei sehr großen Unternehmenstransaktionen, die von internationalen Großkanzleien begleitet werden – eine sehr große Anzahl ähnlicher Verträge durchgesehen noch werden Ansprüche aufgrund vergleichsweise typischer juristischer Fallgestaltungen („Massengeschäft“) wie verspätete Bahn- oder Flugreisen geltend gemacht. Die Aufgaben einer mittelständischen Kanzlei sind häufig strategisch geprägt und erfordern in hohem Maße die Erfahrung und das Judiz eines Partners, und dies wird vom Mandanten auch so unmittelbar eingefordert. Verträge etwa, die von PSP im Rahmen von M&A-Transaktionen oder Umstrukturierungen entworfen werden, sind von einem sehr individuellen Hintergrund der steuerlichen und rechtlichen Verhältnisse des Mandanten, einer komplexen Verhandlungssituation und wechselnden Zielen bzw. Motivationen des Mandanten geprägt.
Legal Tech-Ansätze, die auf „big data“-Algorithmen aufbauen und in immer wieder ähnlichen, eher einfachen Fallgestaltungen musterbasiert zu ähnlichen Lösungen führen, sind daher bislang in diesem Beratungsfeld kaum einsetzbar. Eine Ausnahme sind insoweit intelligente Suchalgorithmen der juristischen Datenbanken, in denen Entscheidungen, Kommentare und juristische Zeitschriftenartikel zur Verfügung stehen.
Legal Tech-Ansätze, die auf Basis strukturierter Daten „Subsumtionsautomaten“ abbilden, sind auch aus mittelständischer Sicht hochinteressant, um etwa individuelle (Teil-) Sachverhalte nach komplexen Regelungen des Steuerrechts automatisiert bewerten (und auch für den Mandanten anschaulich aufbereiten) zu können. Derartige Lösungen sind jedoch bislang noch nicht marktgängig und erfordern eine aufwändige Eingabe der entsprechenden strukturierten Daten.
Legal Tech-Ansätze, bei denen Chatbots eingesetzt werden, um mit dem Mandanten zu kommunizieren und in diesem Rahmen einfach beantwortbare Fragen von komplexen Fragestellungen (deren Beantwortung einen menschlichen Anwalt erfordert) zu unterscheiden, sind vielversprechend, laufen aber bislang der von der mittelständischen Wirtschaft meist ausdrücklich gewünschten direkten Kontakt zum (erfahrenen) Anwaltspartner zuwider.
Smart Contracts spielen bislang im Kanzleialltag keine praktische Rolle. Dasselbe gilt auch für Online-Marktplätze für Beratungsleistungen: Mittelständische Unternehmen als Mandanten wählen bisher ihre Berater nicht über derartige Plattformen aus, sondern über persönliche Kontakte und „Beauty Contests“, in deren Rahmen verschiedene Beratungshäuser direkt angesprochen und um die Darstellung eines individuellen Angebots gebeten werden.
Legal Tech Blog: Welchen Stellenwert hat Legal Tech derzeit Ihrer Kenntnis nach in mittelständisch geprägten Kanzleien?
Dr. Axel Wagner: Bislang sind weder „Subsumtionsmaschinen“ noch Chatbots in der Beratungspraxis wirklich einsetzbar. Einen hohen Stellenwert haben hingegen juristische Datenbanken, Dokumenten-Managementsysteme mit intelligenten, musterbasierten Suchfunktionen und moderne Kommunikationsmittel (Web-Konferenzen, Nutzung digitaler Datenräume etc.) mit dem Mandanten.
Maßgeschneiderte Eigenentwicklungen von Produkten, die aus unserer Sicht für den Mandanten sinnvoll sein würden, erfordern erhebliche Investitionen und Ressourcen – insbesondere im Bereich der Programmierung –, über die eine mittelständische Kanzlei üblicherweise nicht verfügt. Insoweit sind mittelständische Kanzleien überwiegend auf verlässliche Drittanbieter angewiesen, die über solche Ressourcen verfügen und eine Gewähr für eine langfristige Weiterentwicklung „in die richtige Richtung“ bieten.
Legal Tech Blog: Wie ist die Einstellung der Anwälte und Mitarbeiter Ihrer Kanzlei zum Thema Legal Tech?
Dr. Axel Wagner: Wir versuchen, sämtliche neuen Angebote am Markt zu evaluieren, die erfolgversprechend sind. Beispiel hierfür sind Analysetools, die in der Cloud Vertragsdaten auf bestimmte Inhalte (Vertragsparameter, „Problemklauseln“ etc.) analysieren, oder integrierte Kommunikationsplattformen für die Kommunikation zwischen dem Mandanten und PSP. Solche könnten in Zukunft z. B. auch Chatbots oder „Subsumtionsautomaten“ integrieren, um eine „Vorfilterung“ der Aufgabenstellungen für den Berater bzw. eine kostengünstige Lösung von Standard-Fällen anbieten zu können.
Legal Tech Blog: Wo steht Ihre Kanzlei im Jahr 2020 im Bereich Legal Tech?
Dr. Axel Wagner: Wir hoffen, dass sich der Markt weiterentwickelt und beispielsweise intelligente Werkzeuge für Vertragsmanagement oder Visualisierung strukturierter Daten bereitstellt. „Subsumtionsautomaten“ aber, die komplexere Sachverhalte aus verschiedenen juristischen Blickwinkeln (vor-) bewerten können und damit die anwaltliche Tätigkeit erheblich erleichtern würden, wird es vermutlich auch 2020 noch nicht geben.
Legal Tech Blog: Wie sieht aus Ihrer Sicht die perfekte Symbiose aus Anwalt und Legal Tech in fernerer Zukunft aus?
Dr. Axel Wagner: Wenn man einmal auf die letzten zehn Jahre Entwicklung des Anwaltsmarkts zurückblickt, wird man feststellen, dass sich nichts fundamental geändert hat. Graduell haben Anwälte bei ihrer Arbeit mehr bzw. intensiver Informationstechnologie genutzt und häufiger Sachverhaltsfragestellungen mit IT-Bezug beraten. In näherer Zukunft wird – neben der Fortführung und Vertiefung der bisherigen Trends – zunächst einmal die digitale Vernetzung der Anwälte mit den übrigen „Organen der Rechtspflege“ und dem Mandanten eine große Rolle spielen: Es wird mehr Videokonferenzen statt Gerichtsverhandlungen, mehr digitalen Informationsaustausch mit Behörden und Gerichten und verstärkt eine gemeinsame Nutzung digitaler Plattformen, auch und gerade mit dem Mandanten, geben. Eine „disruptive“ Entwicklung wird (erst) dann eintreten, wenn entweder die KI so weit ist, dass sie Gesetzesvorschriften „versteht“ und selbstständig unter Heranziehung von Rechtsprechung und Literatur subsumieren lernt – so, wie autonome Autos lernen, Verkehrszeichen zu „beachten“. Dann wird die „Maschine“ zum Sparringspartner des Anwalts, dessen Aufgabe es sein wird, die richtigen Input-Daten zu wählen und das Ergebnis auf Plausibilität zu prüfen. Oder aber der Gesetzgeber erlässt Gesetze auf algorithmischer Basis, die von vornherein dafür gemacht werden, durch Maschinen umgesetzt zu werden. Erste Ansätze in diese Richtung gibt es in der Rechtsinformatik schon, und dass prinzipiell der „Code“ das „Law“ ersetzen kann, ist keine neue Erkenntnis. Aber bis die Anwälte insgesamt durch solche Entwicklungen der Automatisierung zum Opfer fallen, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Aktuell sucht PSP nach einem Rechtsanwalt (m/w) für die Bereiche IT-Recht und Gesellschaftsrecht. Weitere Informationen finden Sie hier.